„Jeder hat seinen eigenen Arbeitsbegriff“

Der klassische Arbeitsbegriff grenzt immer mehr Leute aus. Darum setzt sich die Ideenwerkstatt „Workstation“ für ein neues Verständnis von Arbeit ein und initiiert Kampagnen wie „unvermittelt“, erklärt die Künstlerin Ulrike Ertl

ULRIKE ERTL, 42, ist Künstlerin und Musikerin, macht vier Stunden in der Woche Lohnarbeit. Davon lebt sie, wenn sie nicht auf Hartz IV ist.

taz: Frau Ertl, seit zehn Jahren gibt es die Workstation. Trotzdem ist nie richtig klar geworden, was das eigentlich ist.

Ulrike Ertl: Das ging mir früher genauso. Zuerst dachte ich, die Workstation sei einfach ein Arbeitsvermittlungsprojekt. Ich dachte, da können Leute hinkommen und durch Gespräche oder durch temporäre Mitarbeit herausfinden, was sie machen wollen. Wie man sich so ein Leben einrichtet mit den Fähigkeiten und Interessen, die man hat.

Und was ist die Workstation wirklich?

Ich kooperiere jetzt seit eineinhalb Jahren mit der Workstation. Und ich finde, es ist ein Forum, wo sich Akteure treffen und zum Thema Arbeit auszutauschen.

Welche Akteure?

Wissenschaftler, Künstler, Aktivisten, Ein-Euro-Jobber. Bei Diskussionen sitzen auch Vertreter vom Jobcenter, die Arbeitssenatorin, Arbeitgeber – also Leute, die einen anderen Arbeitsbegriff vertreten als wir. Es geht um Dialog mit allen, die bestimmen, was Arbeit ist und nicht darum, Recht haben zu wollen. Die Workstation ist kein Ort, wo Gleichgesinnte sich die Wunden lecken.

Welchen Arbeitsbegriff hat denn die Workstation? Das wird ja nicht richtig deutlich.

Es wird nicht deutlich, weil dort jeder seinen eigenen Arbeitsbegriff in die Diskussion reinbringen kann und soll. Ich zum Beispiel bin für eine klare Abgrenzung zwischen Lohnarbeit, also Arbeit, die bezahlt ist, und solcher, die nicht bezahlt ist. Letzteres nenne ich Hobby. Dies sage ich, obwohl ich Künstlerin bin.

Und dieser Arbeitsbegriff entspricht nicht dem, was andere bei Workstation denken?

Frauke Hehl, die fleißigste Vertreterin der Workstation etwa, nennt alles Arbeit. Lohnarbeit, Reproduktionsarbeit, Ehrenamt, Hobby, für sie ist alles Arbeit und Leben. Da trennt sie nicht.

Was hat man davon, sich über Arbeit auszutauschen?

Weil der klassische Arbeitsbegriff und seine heutigen Auswüchse so viele Leute ausgrenzt, vereinzelt, ausbeutbar macht, sind wir eine der Keimzellen, die diesen falschen Arbeitsbegriff kritisieren. Ohne solch strukturelle Kritik ist ein Umdenken nicht möglich.

Macht die Workstation auch noch etwas anderes, als nur über Arbeit zu reden?

Was heißt denn nur? Austausch ist wichtig, weil dabei Ideen entstehen. Die Workstation hat mehrere Gemeinschaftsgärten auf Stadtbrachen initiiert. Sie hat zudem Kunst-Stoffe ins Leben gerufen. Das ist ein Hof, wo Materialien und Reste von Firmen, nicht mehr Gebrauchtes von Theater- und Filmproduktionen gesammelt wird, die gegen kleine Spenden an Künstler und Kindergärten, Schulen abgegeben werden. Außerdem hat die Workstation die Kampagne „unvermittelt“ angeregt, bei der ich mitmache.

Was ist das?

Das ist eine Kampagne zur Vermittlung eines Arbeitsbegriffs jenseits von Überarbeitung und Mangel. Es geht nämlich darum, diese Ansätze, die bei Workstation entwickelt werden, unter die Leute zu bringen, die von so einer Diskussion ausgeschlossen sind von vornherein. Unvermittelt wird ab heute fünf Wochen lang an verschiedenen Orten in der Stadt Aktionen machen.

Hat die Workstation mit ihrer Kritik am Arbeitsbegriff denn schon etwas erreicht?

Unsere Kritik wird in politischen, wissenschaftlichen, gewerkschaftlichen und künstlerischen Kontexten abgefragt und ziemlich ernst genommen. Weil die Leute merken, wenn man sich vom klassischen Arbeitsbegriff nicht in die Enge treiben lässt, funktionieren Abhängigkeitssysteme, auf die die Wirtschaft baut, nicht mehr.

INTERVIEW: W. SCHWAB