Lügenfritz soll bleiben

KOLONIALGESCHICHTE Namensstreit in Namibia: Die Stadt Lüderitz, nach einem betrügerischen Bremer Kaufmann benannt, heißt jetzt Naminüs. Doch die Ex-Lüderitzer wehren sich dagegen ähnlich vehement wie die Anwohner hiesiger Kolonialisten- straßen

Von HENNING BLEYL

Zuhause, da ist die Welt noch in Ordnung. Für den Tabakgroßhändler Adolf Lüderitz war „Zuhause“ Bremen, dort ist eine Straße im feinen Stadtteil Schwachhausen nach ihm benannt. Lüderitz, als „Koloniegründer“ ausführlich im „Großen Bremen-Lexikon“ gewürdigt, erwarb 1883 an der afrikanischen Südspitze das Land, aus dem das wilhelminische „Deutsch-Südwest“ wurde – Deutschlands „Platz an der Sonne“. Wacker wehrten Bremer Kaufmannschaft und Stadtteil-CDU mehrere Versuche ab, die Straße wegen der Kolonialverbrechen umzubenennen.

In Köln hingegen wankte die Welt des tüchtigen Unternehmertums bereits 1991: Die dortige frühere Lüderitzstraße, übrigens 1935 so benannt, heißt mittlerweile Usambarastraße, nach einem Gebirgszug in Namibia. Und jetzt das: Die Stadt Lüderitz im fernen Namibia heißt seit dem 9. August Naminüs. Nun schlagen die Wellen hoch – am höchsten in Naminüs selbst.

Die Allgemeine Zeitung, die seit 1916 deutschsprachig in Namibia erscheint, hat in einer Leserbefragung „großen Widerstand“ gegen das als putschartig empfundene Namensdekret des namibischen Präsidenten Hifikepunye Pokamba ermittelt. Aber auch bei der schwarzen Einwohnerschaft von Ex-Lüderitz gibt es offenbar Widerstand gegen die Umbenennung. Dass die „touristischer Selbstmord“ sei, sagt nicht nur der örtliche Hotelier Ulf Grünewald, sondern auch der keineswegs deutschstämmige Vertreter der Tourismusbehörde. Nicht mal Bürgermeisterin Susan Ndjakela von der Swapo, die bei der letzten Wahl 87 Prozent der Stimmen bekam, verteidigt die Namensinitiative ihres Parteifreundes Pokamba.

Zuspruch und Protest sind ethnisch keineswegs zuordenbar. „The president just killed one of my favourite names, Luderitz“, schreibt ein Theodor Haitula im Online-Forum der Allgemeinen. Jan Scholtz von der Regionalverwaltung wiederum betont: „Durch die Namensänderung werden viele Menschen mehr über die Geschichte lernen.“

Zum Beispiel, dass „Naminüs“, was „Umarmung“ bedeutet, der ursprüngliche Name der Bucht ist, an der Lüderitz 1883 landete. Der Bremer Kaufmann handelte dem örtlichen Orlam-Führer Josef Frederiks II. ein 40 Meilen langes und 20 Meilen tiefes Landstück ab, zum Preis von 100 Goldpfund und 250 Gewehren. Den damaligen Gepflogenheiten entsprechend wurde der lokale Häuptling derbe über den Tisch gezogen: Nach Handelsabschluss machte ihn Lüderitz darauf aufmerksam, dass es sich bei den vereinbarten Maßen keineswegs um englische Meilen handle (1,6 Kilometer), sondern „selbstverständlich“ um preußische Meilen. Letztere entsprechen 7,5 Kilometern.

Durch diesen Meilenschwindel, der Lüderitz den Namen „Lügenfritz“ einbrachte, wurde Frederiks II. den Großteil seines Stammesgebietes los. Als die Einheimischen 19 Jahre später einen Aufstand wagten, kamen 2.000 – auch Frauen und Kinder – in ein Konzentrationslager, das die Deutschen auf einer Felsinsel in der Lüderitzbucht einrichteten. Nicht mal ein Viertel überlebte.

Das Lüderitz-Denkmal, das auf dieser Felsinsel thront, steht noch auf der Liste der 130 namibischen Nationaldenkmäler. Wie schwer es Namibia hat, sich auf seine präkoloniale Identität zu besinnen, zeigt auch der Umstand, dass diese Liste zum Großteil aus Kolonialbauwerken besteht – sechs alleine in Naminüs.

Die deutsche Prägung des Ortes ist unbestreitbar. Es gibt eine Bismarck- und eine Bahnhofsstraße, die Bibliothek heißt „Lesehalle“. Doch der Widerstand gegen die Umbenennung liegt vor allem darin begründet, dass die Lüderitzer von Verlustängsten geplagt sind. Die durch den Diamantabbau einstmals reiche Stadt ist längst verarmt. Es sind auch viel weniger Lüderitzer vorhanden, als man immer dachte: Statt der angenommenen 23.000 Einwohner erbrachte die Volkszählung von 2011 ein Bevölkerungssaldo von lediglich 12.500. Das benachbarte Diamantendorf Kolmanskuppe, einst als wohlhabendster Ort der Welt gehandelt, ist schon zur Geisterstadt geworden.

Die Internetseite www.luderitztowncouncil.com.na führt bereits auf eine „Error“-Page. Doch dafür gibt es nun eine hochaktive Facebook-Seite namens „Luderitz not Naminus“ mit bislang 1.500 Likes – und eine SMS-Kampagne zu Gunsten des alten Namens. Der größte Trumpf der Umbenennungs-Gegner besteht darin, dass „Naminüs“, ein Wort der Khoekhoegowab-Sprache, offenbar schwierig auszusprechen ist. Angeblich soll sogar Präsident Pokamba, der einer anderen namibischen Ethnie angehört, den Namen nicht in den Mund nehmen – um Peinlichkeiten zu vermeiden. Denn bei falscher Aussprache, heißt es, entstehe ein derbes Schimpfwort.

Solche Probleme wären in Bremen oder Lübeck, wo es ebenfalls Umbenennungsversuche der dortigen Lüderitzstraße gab, nicht zu befürchten. Dass sich trotzdem wenig ändert, liegt zumeist an den sturen AnwohnerInnen: Kürzlich lehnten sie in Bremen sogar eine Umbenennung einer nach Karl Peters benannten Straße ab – eines kaiserlichen Kolonialbeamten, der in Namibia wegen seiner, von niemandem bestrittenen, drastischen Menschrechtsverbrechen als „blutige Hand“ bekannt ist. Nicht einmal die Zusicherung des Senats half, sämtliche privaten Adressänderungskosten zu übernehmen.

Die Lösung des zuständigen Bremer Ortsamtes ist kreativ: Offiziell erinnert die Straße nun nicht mehr an den Kolonialisten, sondern ist einem gleichnamigen Strafrechtsreformer gewidmet. Ein Schildzusatz erläutert das. Im Fall der Lüderitzstraße stände mit Alexander Lüderitz ebenfalls ein wichtiger Rechtswissenschaftler als Patron parat. Wahlweise auch ein Schlagzeuger, ein Immunologe und ein bedeutender Tischtennisfunktionär. Eine noch naheliegendere Lösung wäre freilich ein punktueller Buchstabenwechsel: die Umbenennung in Lügenfritz-Straße.