Die Kunst der Woche: Was gezeigt wird und was nicht

Schule des Sehens: Rachel Harrison und Iman Issa untersuchen, wie wir auf die Welt blicken. Es geht zu Konrad Fischer und carlier | gebauer.

Blick in einen Ausstellungsraum. Vor den Wänden stehen drei Skulpturen aus Draht von Iman Issa, sie deuten abstrahierte Körper an. Die linke Skulptur läuft unten spitz zu, die Skulptur in der Mitte besteht aus rechteckigen elementen und die Skulptur rechts setzt sich aus zwei unterschiedlich großen Kugeln zusammen.

Blick in Iman Issas Ausstellung „Photograph—(Un)Like (M)Any Other(s)“ Foto: © Andrea Rossetti; Courtesy of the artist and carlier | gebauer

Am Gallery-Weekend-Samstag steht die New Yorker Künstlerin Rachel Harrison vor der Neuen Nationalgalerie inmitten der Menschenmenge, die zum großen Dinner des Kunstwochenende eingeladen ist. Das Abendrot taucht den Mies-van-der-Rohe-Bau in rotviolettes Licht. Im Gespräch mit Harrison geht es um Gefühlsfarben, einen Begriff, den die Wienerin Martha Jungwirth für ihren malerischen Umgang mit Farbe benutzt; um Steine, die einer Nachricht zufolge, die kürzlich verschiedene internationale Medien publizierten, junge einsame Menschen in Südkorea adoptierten – als weniger Verantwortung verlangenden Ersatz für echte Haustiere; und um Caspar David Friedrich.

Harrison hat, wie sie erzählt, ihren Aufenthalt in Berlin, während dem sie ihre Ausstellung in der Galerie Konrad Fischer vorbereitete, auch für einen Besuch der Retrospektive Friedrichs in der Alten Nationalgalerie genutzt. An all das muss ich denken, als ich ein paar Tage später zu Konrad Fischer gehe, um Harrisons Schau „Bird Watching“ zu besuchen. Es ist die erste Ausstellung der Künstlerin in der Berliner Galerie, eine der vielen, die zum Gallery Weekend gestartet sind.

Einer merkwürdigen Gestalt begegnet man dort als erstes. Sie reckt den Hals aus einem unförmigen, handbemalten Polystyrol-Fundament, ihre Augen sind hinter den Gläsern eines VR-Headsets verborgen. Von hinten sieht man die Skulptur zunächst, fast wie den Wanderer über dem Nebelmeer, nur dass sie eben nicht in selbiges schaut, während sie den Blicken der Be­su­che­r*in­nen ausgesetzt ist, sondern in eine virtuelle Welt, über deren Ausgestaltung nichts weiter bekannt ist.

Blick in einen Ausstellungsraum. Im vorderen Bildteil ist eine bunte abstrakte Sklptur in den Farben Orange, Blau und Grün zu sehen, die auf einer gelben Transportkiste sitzt. Im hinteren Bildteil sitzt eine grüne Skulptur mit Rädern auf einem grauen Hügel.

Blick in Harrisons Ausstellung mit „Stanley“ und „Orange Judd“ Foto: Roman März; Courtesy Konrad Fischer Galerie + Rachel Harrison

Sehen und gesehen werden, ausstellen und ausgestellt werden, darum geht es auch in den anderen Arbeiten, die irgendwo zwischen gestischer Abstraktion und rumpeliger Figuration zu verorten sind. Auf die Kunstgeschichte wie auf profane Alltagskultur verweisen sie, nicht ohne einen Sinn für Komik, für die Absurdität des Lebens im Spätkapitalismus.

Da hängt ein T-Shirt von der Decke, fast wie aus einem Museumsshop, auf das Harrison Abbildungen von Giacometti-Skulpturen gedruckt hat, übereinander geschichtete, bunte Köpfe, die in alle Richtungen starren; ein grünes Wesen steckt mit seinem zum Fahrzeug umfunktionierten Judd-Schubfach auf einem Stein fest; eine Fotoserie zeigt flimmernde Bilder einer Übertragung der „Westminster Dog Show 2006“, die von einem Röhrenfernseher abfotografiert wurden.

Wie wir auf Abbildungen blicken

Die Frage, wie wir auf Dinge oder besser gesagt auf Abbildungen blicken, beschäftigt auch Iman Issa. Absolut notwendig ist es, in ihrer Ausstellung „Photograph–(Un)Like (M)Any Other(s)“ bei carlier | gebauer die Wandtexte zu den Arbeiten zu lesen. Sie liefern die vermeintlichen Kontexte, öffnen dabei verschlungene Assoziationsräume. Schon gleich im ersten Raum verdeutlichen zwei Fotografien, die an gegenüberliegenden Wänden aufgehängt sind, das Prinzip. Zu sehen sind schwarz-weiß abfotografierte Kalenderblätter mit arabischer Beschriftung. Was sie unterscheidet, ist einzig das Format und der Titel: „See No Evil, Hear No Evil, Germany 2024“ heißt die eine, „See No Evil, Hear No Evil, Egypt 2013“, die andere.

Worauf sie damit genau anspielt, verrät Issa nicht, 2013 jedoch fand in Ägypten der Militärputsch statt, an den Anstieg muslimfeindlicher Übergriffe in Deutschland könnte man beim anderen Datum denken. Noch hintersinniger geht es danach weiter, besonders in der Serie „Doubles: Photograph-(Un)Like (M)Any Other(s)“. Sie besteht aus mit Objekten verbundenen Drahtfiguren, die Vorformen des Triadischen Balletts Oskar Schlemmers sein könnten.

Als Vorbild dienten der Künstlerin dafür jeweils zwei Fotografien gleichen Titels, Pressebilder vermutlich, aus unterschiedlichen Zeiten, Orten und Situationen. Zu sehen sind diese nicht, aber allein die Angaben verweisen mehr oder weniger eindeutig auf Ereignisse, Krisen, politische Diskurse, hinterfragen die Rolle, die Bilder in diesen spielen.

Rachel Harrison: Bird Watching. Konrad Fischer Galerie, bis 27. Juli, Di.–Sa. 11–18 Uhr, Neue Grünstr. 12

Iman Issa: Photograph—(Un)Like (M)Any Other(s). carlier | gebauer, bis 22. Juni, Di.–Fr. 11–19 Uhr, Sa. 11–14 Uhr, Markgrafenstr. 67; Gespräch mit Iman Issa und Natascha Sadr Haghighian (auf Englisch), Sa. 25. Mai, 18 Uhr.

Der Körper des „Man by Clock“ etwa besteht aus einem Pendel, die beiden so benannten Fotografien, auf die er sich bezieht, stammen aus „Berlin, 2024“ und aus „Chernobyl, 1986“. Mehr Informationen seien nicht verfügbar, heißt es weiter auf dem Wandtext. Aus einer Plexiglaskugel besteht wiederum der Unterleib des „Scientist“, der in „Gaza, 2024“ beziehungsweise an unbekanntem Ort 1993 fotografiert wurde. Issa überlässt die Interpretation ihrem Publikum, konfrontiert es mit den eigenen Denk- und Sehmustern.

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Redakteurin für Berlin Kultur, freie Kulturjournalistin und Autorin. Für die taz schreibt sie vor allem über zeitgenössische Kunst, Musik und Mode. Für den taz Plan beobachtet sie als Kunstkolumnistin das Geschehen in den Berliner Galerien und Projekträumen.

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