+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++: Baerbock zu Soli-Besuch in Kyjiw

Systeme zur Luftverteidigung fehlen nach wie vor – und der russische Vormarsch geht weiter. Außenministerin Baerbock fordert mehr internationale Hilfen.

Zwei Frauen und ein Mann stehen vor einem Zug

Außenministerin Annalena Baerbock am Dienstag in Kyjiw: Blitzbesuch aus Solidarität Foto: Jörg Blank/dpa

Außenministerin Baerbock fordert mehr Luftabwehr

Außenministerin Annalena Baerbock hat angesichts der aktuellen russischen Offensive eindringlich mehr internationale Unterstützung für die Ukraine bei der Luftverteidigung verlangt. „Um die Ukraine vor dem russischen Raketen- und Drohnenhagel zu schützen, braucht sie dringend mehr Luftabwehr“, forderte die Grünen-Politikerin am Dienstag zum Auftakt ihres siebten Solidaritätsbesuches in der Ukraine seit Beginn des russischen Angriffskrieges im Februar 2022. Die Außenministerin war am Morgen zu einem aus Sicherheitsgründen nicht angekündigten Besuch in der Hauptstadt Kyjiw eingetroffen.

„Wir müssen jetzt alle Kräfte bündeln, damit die Ukraine bestehen kann (…) und damit Putins Truppen nicht bald vor unseren eigenen Grenzen stehen“, appellierte Baerbock mit Blick auf den russischen Präsidenten Wladimir Putin an die internationalen Partnerländer. Bei der von ihr gemeinsam mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) gestarteten globalen Initiative für mehr Flugabwehr seien fast 1 Milliarde Euro zur zusätzlichen Unterstützung der ukrainischen Luftverteidigungskräfte zusammengekommen.

„Und wir arbeiten intensiv daran, dass das noch mehr wird.“ Die Ministerin fügte hinzu: „Wir drehen jeden Stein mehrfach um und sind selbst mit einer zusätzlichen Patriot-Einheit vorangegangen.„Die Ukraine ist aus einem Mangel an Waffen, Munition und Soldaten seit Monaten in der Defensive. Die Millionenstadt Charkiw im Nordosten wird von Russland über die Grenze hinweg aus kurzer Entfernung bombardiert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hatte vergangene Woche bei einem Besuch von US-Außenminister Antony Blinken Patriot-Flugabwehrsysteme für die Verteidigung Charkiws gefordert.

Zum Schutz der Stadt und ihres Umlands vor Drohnen und Raketen seien zwei dieser Systeme notwendig. Dem Vernehmen nach verfügt die Ukraine derzeit über drei der leistungsstarken Flugabwehrsysteme aus US-Produktion. Zwei davon hat Deutschland bereitgestellt, die Bundesregierung hat eine dritte Patriot-Einheit zugesagt. (dpa)

Selenskyj: Westen soll russische Raketen abschießen

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj fordert seine westlichen Verbündeten auf, von ihrem Territorium aus russische Raketen und Drohnen über der Ukraine abzuschießen. „Die Russen setzen 300 Flugzeuge über dem ukrainischen Territorium ein“, sagte er in einem am Montag veröffentlichten Interview. Mit Blick auf die seiner Luftwaffe versprochenen F-16-Kampfjets amerikanischer Bauart sagte er weiter: „Wir brauchen mindestens 120 bis 130 Flugzeuge, um am Himmel Widerstand zu leisten.“ Da diese Flugzeuge noch nicht geliefert worden seien, sollten die Verbündeten ihre Maschinen einsetzen: „Schießen Sie Ziele ab, schützen Sie Zivilisten.“

Selenskyj machte deutlich, dass sich daraus aus seiner Sicht keine Beteiligung von Nato-Ländern an dem Krieg in der Ukraine ergeben werde: „Können sie das tun? Ich bin mir sicher, dass ja. Ist dies ein Angriff der Nato-Länder, eine Beteiligung? Nein.“ Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Nato wiederholt vor einer Beteiligung an den Kämpfen gewarnt und mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht.

Der Präsident verwies darauf, dass er mit internationalen Partnern über den Einsatz der von ihnen gelieferten Waffen gegen militärische Ziele in Russland nahe der Grenze zur Ukraine am verhandeln sei. „Bis jetzt gibt es nichts Positives“, bilanzierte er den Stand der Gespräche. Die USA widersetzen sich bislang der ukrainischen Forderung, amerikanische Raketen gegen Ziele in Russland einzusetzen. Die USA und ihre Verbündeten fürchten in diesem Fall eine Eskalation des Konflikts.

Zum US-Wahlkampf sagte er, er gehe nicht von „maximalen Risiken“ bei einem Regierungswechsel aus. Hintergrund ist, dass der republikanische Spitzenkandidat Donald Trump Ukraine-Hilfen skeptisch sieht. Seine Republikaner hatten monatelang Milliarden-Hilfen für die Ukraine im Kongress blockiert. „Ich glaube nicht, dass die Republikaner gegen die Unterstützung der Ukraine sind, aber einige Äußerungen, die von ihnen kommen, geben Anlass zur Sorge“, räumte das Staatsoberhaupt ein. (rtr)

Kontaktgruppe: Vorerst keine weiteren Patriots für Kyjiw

Eine Videokonferenz der Ukraine-Kontaktgruppe brachte bezüglich der Anfrage Selenskyjs keine Fortschritte. Inzwischen sollen zwar rund zehn Staaten die von Deutschland betriebene Suche nach weiteren Elementen der Patriots-Flugabwehr unterstützen. Doch Zusagen gibt es allenfalls für weitere Munition und Ersatzteile, nicht für einen weiteren Flugabwehrkomplex. Dennoch lobte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin die deutsche Initiative.

Zugleich betonte Austin, dass sich die Ukraine auf den „Nahkampf“ konzentrieren solle, also die Verteidigung des eigenen Landes gegen die Besatzer. Kyjiw hatte zuletzt auch weiter reichende Raketen für Schläge gegen das russische Hinterland angefordert, um Truppenaufmärsche dort zu verhindern und für das Militär strategisch wichtige Objekte wie Ölraffinerien zu vernichten. Nach Medienberichten stößt diese Taktik in Washington auf Kritik. (rtr)

Häuserkampf in Kleinstadt bei Charkiw

Nach der neuen russischen Bodenoffensive gehen die schweren Kämpfe im Nordosten der Ukraine derweil weiter. Die Ukrainer haben nach eigenen Angaben den russischen Angriff im Gebiet Charkiw in der Stadt Wowtschansk gestoppt. Die Frontlinie verlaufe derzeit etwa entlang des Flusses Wowtscha, der die nördliche Stadthälfte vom Süden teilt, sagte der Militärgouverneur der Region Charkiw, Oleh Synjehubow, am Montag im ukrainischen Fernsehen. Dem russischen Militär gelinge es nicht, weiter vorzudringen.

„Im Gegenteil, unsere Soldaten versuchen, Haus für Haus, Straße für Straße dieser Siedlung zurückzuerobern.“ Seinen Angaben nach ist auch der russische Vormarsch weiter westlich ausgebremst worden. Unabhängig bestätigen ließen sich die Aussagen Synjehubows nicht. Vor zehn Tagen hatte Russland im Gebiet Charkiw eine Bodenoffensive gestartet, um die Frontlinie zu verlängern und die ukrainischen Verteidiger zu überlasten. Nach schnellen Geländegewinnen zu Beginn und der Eroberung mehrerer Dörfer nahe der Grenze ist das Tempo des russischen Vormarschs nach Angaben unabhängiger Beobachter in den vergangenen Tagen deutlich gesunken. Völlig zum Stillstand gekommen ist er aber bisher nicht. (rtr)

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir alle wollen angesichts dessen, was mit der Ukraine derzeit geschieht, nicht tatenlos zusehen. Doch wie soll mensch von Deutschland aus helfen? Unsere Ukraine-Soli-Liste bietet Ihnen einige Ansätze fürs eigene Aktivwerden.

▶ Die Liste finden Sie unter taz.de/ukrainesoli

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.