piwik no script img

AfD-Bedrohung in Thüringen Der alternative Verfassungsschutz

Hannah Beck und Janos Richter sind Teil des „Thüringen-Projekts“. Sie untersuchen die Thüringer Verfassung auf ihre Schwachpunkte, um sie zu wappnen – vor einem potentiellen Wahlsieg der AfD im September. Das tazlab-Team hat mit ihnen gesprochen und sie zum taz-Kongress am 27. April 2024 eingeladen.

taz lab | Hunderttausende auf den Straßen Deutschlands. Sie alle sind aus demselben Grund gekommen: Sie wollen ein Zeichen setzen – gegen rechts. Die Bilder vom vergangenen Wochenende stimmen Hannah Beck zwar hoffnungsvoll, aber ihrer Meinung nach kommen die Proteste erschreckend spät. Sie sagt: „Wir hätten schon viel früher aufhören sollen, Deutschland als Spezialfall zu erachten, wo eine Abwanderung nach rechts nicht passieren wird.“ Ein Blick nach Polen oder Ungarn hätte ausgereicht.



Hannah Beck (26) und ihr Kollege Janos Richter (24) sind mir per Zoom zugeschaltet. Richter erwische ich in der Uni-Bibliothek in Leipzig, wo er Jura studiert. Auch Beck ist an diesem Tag in Sachsen. Aber das Projekt, in das die Politikwissenschaftlerin und der Jurastudent involviert sind, betrifft ein anderes Bundesland im Osten Deutschlands: Es geht um Thüringen. Es geht um ihre Heimat.



Ins Leben gerufen wurde das „Thüringen-Projekt“ von Maximilian Steinbeis – Jurist, Journalist und Gründer des „Verfassungsblogs“. Das Projekt soll auf den 1. September 2024 vorbereiten. Den Tag, an dem in Thüringen ein neuer Landtag gewählt wird. Die AfD liegt laut Umfragen weit vorne, sie könnte die Marke von einem Drittel knacken und damit die Größe der sogenannten Sperrminorität erreichen. Bedeutet: Jeder Änderungsversuch der Thüringer Verfassung könnte durch die AfD blockiert werden.

Die autoritär-populistische Partei

Genau deshalb beschäftigt sich das Team um Maximilian Steinbeis mit der Frage: Was passiert, wenn eine autoritär-populistische Partei staatliche Machtmittel in die Hand bekommt? Einige davon bekäme sie allein als stärkste Fraktion im Landtag.



Autoritär-populistische Partei. Diese Bezeichnung fällt immer wieder im Gespräch mit Hannah Beck und Janos Richter, wenn es um die AfD geht. So gelingt es ihnen, die Alternative für Deutschland danach zu benennen, wofür sie wirklich steht.

Für ihre Arbeit im Thüringen-Projekt müssen sie häufig selbst die Brille einer autoritär-populistischen Partei aufsetzen. Dann untersuchen sie die Thüringer Verfassung auf Schwachpunkte. Stand jetzt wäre es etwa möglich, Volksbefragungen nach dem Vorbild Viktor Orbán in Thüringen einzuführen. Um mal ein Einfallstor zu nennen, das die AfD ausnutzen könnte.

Möglichkeiten des Missbrauchs



Aber: Nicht jedes Einfallstor lässt sich problemlos schließen. Das lässt sich ganz gut an der bereits erwähnten Sperrminorität erklären. Nur weil diese Möglichkeit missbraucht werden kann, darf man sie nicht einfach abschaffen.

Es hat seinen guten Grund, dass die Verfassung nicht mit einfacher Mehrheit geändert werden kann. Sie sei nun mal nicht für eine autoritär-populistische Partei geschrieben worden, die im Landtag sitzt und sie von innen aushöhlt, sagt Hannah Beck. Etwa bei der Besetzung des Verfassungsgerichtshofs. Auch hier könnte sie blockieren.

Für die Arbeit von Richter und Beck ist es wesentlich, mit den Ak­teu­r:in­nen vor Ort zu sprechen. Nur so können sie die Arbeitsabläufe im Gericht nachvollziehen und herausfinden, welche Parlaments­traditionen im Thüringer Landtag herrschen. Diese Vorgehensweise hat einen weiteren Vorteil: Die beiden müssen sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, sie würden von außen mit dem Finger auf Thüringen zeigen.

Live auf dem taz-Kongress

■ Auf dem taz-Kongress am 27. April 2024 werden wir mit Hannah Beck und Janos Richter über ihre Arbeit diskutieren und darüber, welche demokratischen Mittel und Werkzeuge es gibt, um die AfD zu stoppen. Alle Infos und Details zum taz-Kongress 2024 gibt es in unserem tazlab-Infobrief – einfach hier anmelden.

Widerstand bitter nötig



„Natürlich liegt mir das Projekt persönlich am Herzen“, sagt Janos Richter. „Ich bin in Weimar groß geworden, ich wurde dort politisiert. Ich weiß, wie es in Thüringen um die Rechtsextreme bestellt ist.“ Das Thüringen-Projekt habe ihm aber gezeigt, dass seine Heimat heterogener ist, als er zuvor annahm. In Thüringen waren es 12.000, die am vergangenen Wochenende gegen rechts auf die Straße gingen.

Ihre Anwesenheit allein werde die AfD aber nicht davon abhalten, den Staat massiv umzubauen, sagt Richter. Nachlesen lässt sich das in Björn Höckes Fünf-Punkte-Plan. Wenn sich dieses Szenario bewahrheitet, so Richter, dann brauche es vor allem eines: eine organisierte Zivilgesellschaft, die sich aktiv gegen rechts einsetzt.