vonWolfgang Koch 03.03.2008

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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[ß = ss]. Diese spannende Frage stellen in Österreich nicht etwa die politischen Parteien oder ihre komfortabel subventionierten Parteiakademien. Obige Frage stellt seit etwa zwei Jahren ein winziges Grüppchen von jungen Leuten in Wien, das sich zunächst gemeinsam durch die Schriften der politischen Klassiker von MONTESQUIEU bis BOBBIO gequält hat, und das dann vom Modell der direkten Demokratie, wie es der deutsche Künstler und Anthroposoph Joseph BEUYS formuliert hat, nachhaltig beeindruckt wurde.

Während österreichische Europapolitiker von ganz links bis ganz rechts vollmundig die Integration der Jugend in das politische System der Union fordern, findet die Initiative Volksgesetzgebung, die sich mit der österreichischen Nation beschäftigt, in den heimischen Medien kaum Beachtung. Umso heftiger ist das Interesse bei der Internet-Generation.

Auf folgenden Websites finden sich die politischen Reformvorschläge der Initiative, die massgeblich von Gerhard SCHUSTER und Tassilo SEIDL-ZELLBRUGG getragen wird:

http://www.ig-eurovision.net/weblog/
http://www.volksgesetzgebung-jetzt.at/
http://www.zapata33.com/

Im Mittelpunkt der Initiative Volksgesetzgebung steht der frühlingshafte Wille, die Regeln des Initiativ- und Abstimmungsrechtes im Land demokratischer, einfacher und transparenter zu gestalten. Diese staatlichen Instrumente der Mitbestimmung von Bürgern und Bürgerinnen sollen endlich zu einem lebendigen Korrektiv der repräsentativen Demokratie ausgebaut werden.

Soviel Aufbruchsstimmung, soviel Lebenskraft muss in den Augen erfahrener Polit-Kapazunder naturgemäss blauäugig erscheinen. Aber ist es nicht das edle Vorrecht der Jugend, den Zukunfthorizont weiter zu spannen, als die Altvorderen zu blicken vermögen?

Ich sage, ja.

Die österreichische Verfassung kennt das Initiativ- und Abstimmungsrecht als »Volksbegehren« und als »Volksabstimmung«. Das erfolgreichste Volksbegehren wurde 1978 von der Umweltbewegung gegen das bereits im Bau befindliche Atomkraftwerk Zwentendorf vorgebracht und dieses Begehren erzwang in der Ära von Bundeskanzler Bruno KREISKY eine gesetzliche Volksabstimmung über die friedliche Nutzung von Kernkraft, die Österreich für alle Zeiten zur atomkraftfreien Zone erklärt hat.

Dieser basisdemokratische Erfolg liegt nun schon wieder drei lange Jahrzehnte zurück und er konnte von keiner anderen Graswurzel-Initiative mehr wiederholt werden. An Anläufen dazu hat es wahrlich nicht gefehlt. Doch das Meinungskartell im Land konnte kein weiteres Mal überwunden werden.

Die momentane Gesetzeslage ist Gift für neue Ideen. Es ist nämlich nach den geltenden Regelungen nicht möglich, dass Volksentscheide stattfinden, wenn die an den Nationalrat gerichteten Gesetzes-Initiativen parlamentarisch nicht beschlossen wurden.

Genau das wollen die unabhängigen Volksgesetzgebler nun ändern. Die junge Initiative vertraut darauf, dass der Souverän schon weiss, was er will, und dass er weiss, was er nicht will. Die jungen Demokraten vertrauen darauf, dass sich die öffentliche Meinung von der veröffentlichten Meinung nicht soweit manipulieren lässt, dass morgen die Todestrafe wieder eingeführt wird oder mehrsprachige Ortstafeln wieder abmontiert werden müssen.

»Wir schlagen mit der dreistufigen Volksgesetzgebung ein direkt-demokratisches Verfahren vor, das das Recht zur Initiative und zum Entscheid miteinander verbindet«, sagen die Volksgesetzgebler. Über a) ein dreistufiges Verfahren (30.000 Unterstützungen für die 1. und 300.000 für die 2. Stufe), durch b) gesetzlich geregelte Zeitabläufe sowie durch c) gesetzlich definierte Medienarbeit soll gewährleistet werden, dass sich der Gemeinwille aller, der volonté générale (Rousseau), im Staat deutlicher bilden kann.

Die Intitiative Volksgesetzgebung ist meiner Ansicht nach gut durchdacht, und es sind bisher kaum Argumente gegen sie vorgebracht worden. Warum? – Nun, die politische Kultur Österreichs reagiert wieder mal mit der alten Kaisermentalität: »besser ned amol ignorieren«.

© Wolfgang Koch 2008
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