vonWolfgang Koch 25.12.2006

Wolfgang Kochs Wienblog

Vom letzten Glanz der Märchenstadt oder wie es sich an der blauen Donau gerade lebt.

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Jede Stadt braucht eine gute Ursprungslegende, und wenn so eine nicht zu haben ist, dann wenigstens eine Erzählung vom Ursprung der eigenen Freiheit. Denn eines ist klar: die Freiheit wurde den BürgerInnen im feudalen Monstrum der Habsburgermonarchie freiwllig nicht geschenkt. Die Freiheit baute auf dem Mut derer, die sie als erstes zu verlangen wagten.

Im Fall Wiens fusst sie auf Ereignissen, die sich im Juli und August 1622 auf der Bühne von Wiener Neustadt abgespielt haben. – Bühne ist hier ein passendes Wort, denn auf dem Hauptplatz von Wiener Neustadt fand damals vor tausenden erregten Untertanen ein spektakulärer Hochverratsprozess statt. Noch heute markiert eine Granitplatte – der sogenannte »Kreis im Pflaster« – jene Stelle, an der das Schafott gezimmert wurde.

Die Hauptperson des historischen Dramas war Wiens amtierende Bürgermeister, mit Vornamen: Mert oder Martin. Der Nachname wird in der Literatur und auf Gedenktafeln mit einer langen Reihe von Synonymen angegeben: Capinius, Capini, Cibinio, Cibinium, Kapn, Kapp, Kappen, Kahoppin, Kopp oder Koppin. Prakischerweise hat sich in der Forschung der Beiname Siebenbürger durchgesetzt, der die Herkunft des Mannes aus dem rumänischen Hermannstadt dokumentiert.

Martin Siebenbürgers Geschichte begann harmlos. Er studierte an der philosophischen Fakultät, wandte sich dann dem juristischen Studium zu, das er 1505 abschloss. Ohne Mühe wurde er Professor für Kirchenrecht und später dreimal Dekan an der Wiener Juristischen Fakultät. Siebenbürger verfasste einige historische Schriften und beschäftigte sich intensiv mit den Fragen nach den letzten Dingen, wofür er vorübergehend sogar in den geistlichen Stand eintrat.

Schliesslich erregte dieser respektierte Gelehrte einiges Aufsehen. In einer stadtbekannten Betrugsaffaire fungierte Siebenbürger nämlich als Richter – und er schritt dabei mit aller Härte selbst gegen eigenen Verwandte ein. Das trug ihm bei den einfachen Menschen den Ruf eines unbestechlichen Bürgers ein, führte aber auch zu den ersten Beschwerden bei Hof.

Siebenbürger war keine Memme, nein gar nicht. Der unbestechliche Richter wohnte persönlich der Streckfolter mit dem Seil bei. Manchmal verlor er in Diskussionen die Nerven und liess es – für den Geschmack der Zeit – allzu deutlich an höfischem Gehaben vermissen. Was tat’s! Aufgrund seiner Rechtskenntnissse und seiner Beliebtheit wurde Siebenbürger 1520 zum Bürgermeister von Wien gewählt.

Siebenbürgers Einsatz für die Belange der Stadt brachten ihn Schritt für Schritt weiter in Konflikt mit den Autoritäten. Unvermeidlich, dass er Mitglied eines wütenden Bürgerausschusses wurde, und schliesslich bedeutendster Vertreter der Ständeopposition gegen das landesfürstliche Regiment.

Grundsätzlich war ein Wiener Bürgermeister im 16. Jahrhundert keine sonderlich hochgestellte Persönlichkeit. An der Spitze der feudalen Gesellschaft stand bekanntlich Gott, knapp gefolgt vom apostelgleichen Kaiser Maximilian I und darunter Erzherzog Ferdinand I, der die altösterreichische Linie der Habsburger begründete.

Ferdinand hatte zur Festigung der katholischen Kirche den rabiaten Jesuitenorden nach Wien, Graz und Innsbruck berufen. Misstrauen kennzeichnete sein Verhältnis zu Ständen und Volk. Der lokale Adel fand in ihm einen wesentlich härteren Gegner als in seinem Vorgänger. Zwar huldigte man dem Erzherzog widerspruchslos, doch alle Vorschläge der Stände – darunter die Verlegung des Regierungssitzes nach Wien – wurden von Ferdinand rigoros verworfen.

Hauptursache für das Blutgericht von Wiener Neustadt dürfte eben dieser Streit um den Ort der Regenschaft von Niederösterreich gewesen sein. Der Landtag verweigerte 1519 einem Notablen aus Wiener Neustadt die Anerkennung und setzte kurzerhand eine neue Regierung ein, an dessen Spitze Siebenbürger stand.

»Die alte Regentschaft verliess Wien«, schreibt Nicolas Forster, »und zog sich nach Wiener Neustadt zurück. Die neuen Regenten übernahmen die gesamte Landesverwaltung, liessen Münzen prägen und legten sogar die Hand auf landesfürstliches Kammergut. Während Ferdinands Abwesenheit wurden in den Ländern Ständeversammlungen abgehalten, die sich mit der Abwehr der Osmanen beschäftigten.«

Um sich gegen den Vorwurf der Verunglimpfung kaiserlicher Räte zu verteidigen reiste Siebenbürger den hohen Herrschaften bis nach Barcelona nach. Erfolglos. Der aus Spanien zurückgekehrte Ferdinand liess 1522 jenen Männern den Prozess machen, die sich gegen das von Kaiser Maximilian I. eingesetzte »alte Regiment« aufgelehnt und diese Regierung aus den Ämtern vertrieben hatten.

© Wolfgang Koch 2006
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