vonSchröder & Kalender 13.05.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert heute nicht.

Soeben wurde die neue Folge von ›Schröder erzählt‹ mit dem Titel ›Eitelkeit auf Eitelkeit‹ ausgeliefert. Wie üblich haben wir die Sendungen mit der Sackkarre zur Post gefahren, die nur ein paar Schritte entfernt auf der anderen Seite des Bundesplatzes ist. Mit drei Fuhren war das erledigt.

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Die regelmäßigen Leser wissen es: Wir bringen keine Texte mehr aus ›Schröder erzählt‹ in unserem Blog, denn die Abmahnungen und Unterlassungsbegehren nahmen überhand.Umso erfreulicher, daß wir heute doch eine Passage aus der neuen Erzählung veröffentlichen können. Sie handelt von Florian Havemann, dessen erstes Buch 1979 im März Verlag erschien. Florian bittet ja geradezu um Korrekturen, damit eines Tages eine neue gedruckte Ausgabe seines neuen Buches erscheinen kann: »Das Buch schreibt sich sozusagen weiter.« Na, denn man tau, hier ist unser Text aus ›Eitelkeit auf Eitelkeit‹:

»Ob das große Welttheater uns jemals Wahrheit bieten kann? Unser blauer Planet rollt so oder so dahin. Wahrscheinlich bleibt einem Schriftsteller nur der Versuch, so wahrhaftig wie irgend möglich zu erzählen. Leider stehen aber auch Leute, die nicht zu den Renegaten, Theoriekaspern, Anpaßlern und Karrieristen gehören, die sich vielmehr als randständige, nicht marktkonforme, stets scheiternde Geniedarsteller gebärden, sehr oft mit der Wahrheit auf Kriegsfuß. Dabei ist doch das Streben nach Wahrheit das einzige Prinzip, für das es sich lohnt, diese ganze bescheuerte Schriftstellerei überhaupt zu betreiben, denn das Geld, das man damit verdient, reicht nicht zum Leben und nicht zum Sterben.

Florian Havemann ist solch ein Herzchen, der die Fakten immer so darstellt, wie es ihm paßt. In seiner jüngst erschienenen, dicken Autobiographie mit dem schlichten Titel ›Havemann‹ schreibt er: »Das Buch ist meine Wahrheit.« Er bildet sich auf diesen blödesten aller Gemeinplätze eine Menge ein, und die Kritiker wiederholen den gedankenlosen Satz wie ein Axiom. Dabei liegt doch auf der Hand, daß »meine« oder »deine« Wahrheit ein Widerspruch in sich ist. Die Wahrheit ist doch kein Glücksspiel wie ›Meine Tante, deine Tante‹, denn sie ist nur ohne Possessivpronomen zu haben.

Zwar haben wir schon in der Untersekunda von Sokrates gelernt, daß die Suche nach der Wahrheit nur im Hinterfragen von Argumenten und Erfahrungen gelingen kann und selbst bei größter Anstrengung keine absolute Wahrheit zu erzielen ist. Auch Max Horkheimer sieht das natürlich so, aber seine Paraphrase zum Begriff der Wahrheit taugt als Maxime: »Wir werden nie im Besitz der Wahrheit sein, und deshalb wird auch niemals ein totales fertiges System zu entwerfen sein. Was wir aber tun können, ist nichts anderes, als diese Wahrheit im Denken, die wir nicht positiv bezeichnen können, aber die noch immerhin eine solche Macht bedeutet, daß wir sehen, was unwahr ist, was nicht recht ist, was gegen die Ideen gerichtet ist, die wir mit dem Begriff der Wahrheit verbinden, diese Wahrheit im Denken zu erhalten.«

Eine schlichte Forderung, die man an jeden Autor stellen muß, der sich anschickt, autobiographisches Material zu verwenden. So, und nun machen wir mal die Probe aufs Exempel, und zwar bei einer Passage aus ›Havemann‹, in der über einen Zusammenhang geredet wird, den ich genau kenne und wozu es natürlich im Deutschen Literaturarchiv die entsprechenden Materialien gibt. Über das Erscheinen seines Buches ›Auszüge aus den Tafeln des Schicksals‹, das ich 1979 verlegte, erzählt der Autor: »Aber ich habe noch einen Brief von meinem Vater, geschrieben ein paar Jahre später, 1980, nach diesem ›Spiegel‹-Artikel also, nachdem dann aber auch ein Buch von mir im März Verlag erschienen war: Die ›Auszüge aus den Tafeln des Schicksals‹ – auf der ersten Seite die Widmung: ›Die Arbeit, die ich mir gemacht habe, war meinem Vater gewidmet – jetzt, die Fotos, den Malern dieser Welt.‹ Ein Buch in einem etwas obskuren Verlag, dem eines Pleitiers, diese ›Auszüge‹ die Dokumentation eines ebenso obskuren Theaterabends, den ich mit den Texten von Velimir Chlebnikov, einem obendrein noch obskuren russischen Futuristen, inszeniert hatte. Und das doch nur in meiner Kunsthochschule. Nahezu unbeachtet. Ich hatte meinem Vater ja nur die Arbeit gewidmet, die Arbeit an dieser Inszenierung, ich nahm es damit übermäßig genau, so genau, daß ich es nicht für nötig befand, ihm dieses Buch zuzuschicken. Nein, das war nicht nett. Ich war nicht nett. Aber mein Vater besorgte sich das Buch, und dann hörte ich, daß er damit überall herumlief, allen Leuten mein Buch zeigte. Stolz darauf, daß es sein ungeratener Sohn zu einem Buch gebracht hatte. Als sei ich damit plötzlich für ihn zu einem Menschen geworden. Satisfaktionsfähig. Wahrscheinlich wird es ihm da gedämmert haben, daß ich, der dafür nicht Vorgesehene, das seiner Kinder sein werde, das einzige seiner Kinder, den es, wie ihn selber, nicht nur in die Öffentlichkeit drängt, der von dieser Öffentlichkeit dann auch noch als Havemann wahrgenommen wird – was aber nahezu ein Irrtum war, das Buch lag schwer wie Blei in den Regalen, der März Verlag ging kurz darauf zum zweiten Mal pleite.«

Es folgen vier Seiten, in denen Florian den Antwortbrief seines Vaters Robert Havemann zitiert, danach bringt er ein Abhörprotokoll der Staatssicherheit, in dem sich seine Schwester Sibylle mit dem Vater über Florians Buch unterhält, und eine »Kurzrezension« von Onkel Hermann, die Florians Mutter ihm telefonisch übermittelte. Diese Passagen zeigen, wie wichtig Florian die ›Auszüge aus den Tafeln des Schicksals‹ nimmt. Kunststück, es war sein erstes Buch, auf das er alle Hoffnungen gesetzt hatte. Über das wahre Schicksal dieses Werks habe ich vor zehn Jahren in der Folge ›Sieben Sachen‹ berichtet und möchte mich daher nicht wiederholen.

Interessant an Havemanns Bemerkung über den »obskuren März Verlag« ist vor allem, daß die Produktion dieses Titels fünfzigtausend Deutsche Mark kostete – die hätte ich jetzt gern – und er mich einen »Pleitier« nennt. Seit wann können sich Pleitiers solche teuren Späße leisten? Tatsächlich ging es nämlich dem März Verlag im Dezember 1979, als der Band erschien, ökonomisch sehr gut. Denn im Vertrieb von Zweitausendeins lief damals eigentlich jeder Titel, eine Auflage von fünftausend war das mindeste. Ich hatte von 1977 bis 1980 einige Bestseller verlegt, zum Beispiel Bernward Vesper, ›Die Reise‹, und Fee Zschocke, ›Er oder ich‹, mit Auflagen über hunderttausend Exemplaren. Der einzige Flop in dieser Phase waren Florians ›Auszüge‹, aber weder Lutz Reinecke, damals Chef von Zweitausendeins, noch ich nahmen es dramatisch. Im Gegenteil, wir schenkten dem Autor sogar die viertausend Exemplare, welche allerdings wie Blei in den Regalen gelegen hatten. Florian baute sich in seiner Wohnung am Kottbusser Damm Möbel aus den Büchern: Sessel, Tische und Regale. Hut ab! Aber davon steht leider nichts in seiner Autobiographie.

Auch die »zweite Pleite« des März Verlags, von der er spricht, fand nicht kurz nach dem Erscheinen der ›Tafeln des Schicksals‹ statt, sondern acht Jahre später. Erst 1987, nach meinen zwei Herzinfarkten, mußten wir den Verlag liquidieren. Man fragt sich also doch: Warum dachte sich Florian Havemann solche Lügenmärchen aus? Die Antwort ist: Natürlich aus Eitelkeit. Er bringt es heute einfach nicht mehr fertig, vor sich und der Welt zuzugeben, daß sein Buch damals ein krasser Mißerfolg war. Schuld ist bei ihm niemals das Genie Florian, sondern immer der böse Vater oder zur Not auch ein obskurer Verleger.

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Die Titelillustration ist von Wolfgang Müller.

Sie können diese Folge ohne Subskriptionsverpflichtung bestellen. Die Bindung erfolgt von Hand in einen schwarzen Chromolux-Einband mit Fensterstanzung. Satz und Druckvorlagen werden im Desktop-Publishing-Verfahren hergestellt, gedruckt wird auf holz- und säurefreiem, alterungsbeständigem und chlorfrei gebleichtem Papier. Jedes Exemplar wird handschriftlich numeriert und dem Besteller gewidmet. Auch Widmungen für Freunde sind möglich. Die Folge ›Eitelkeit auf Eitelkeit‹ hat 49 Seiten und kostet 35 Euro (Porto und Verpackung frei). Es gilt das bewährte Motto des Frederick Henry Royce: »The quality remains after the price is forgotten.«

(FH / WM / BK / JS)

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