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zwischen den rillenDie Alpen-Avantgarde: Hubert von Goisern und Deishovida landen im Post-Folk

(Just Like) Starting Over

Bevor im vergangenen Jahr DJ Ötzi mit seinem „Anton aus Tirol“ über die Alpen stapfte und alle Befürchtungen hinsichtlich österreichischer Pop-Folklore bestätigte, galt kaum ein anderer Musiker als so typisch alpenländisch wie Hubert von Goisern. Vor zehn Jahren stand er mit seinen Alpinkatzen an der Spitze der „neuen österreichischen Volksmusik“ und spielte eine chartstaugliche Mischung aus Bergfolklore und bluesiger Rockmusik („Koa Hiatamadl mog i nit, hot koane dickn Wadln nit“). Doch weil er nicht als Jodelrocker enden wollte, zog er sich 1994 völlig zurück. Zum Entsetzen seiner damaligen Plattenfirma gab es von ihm seither nur zwei Weltmusikalben zu hören – Co-Produktionen mit afrikanischen und tibetanischen Musikern.

Nun meldet sich Hubert von Goisern wieder zurück. „Fön“ heißt sein neues Album, und es klingt tatsächlich recht gereizt. So findet sich darauf auch ein Statement zur politischen Situation in Östereich, insbesondere zur Sehnsucht nach dem starken Mann („he, du red’st so wie oaner, der se auskennt“). Doch das „Schädlweh“ vom Föhn hat eher private Gründe, wie auch die meisten Texte überhaupt nichts Krachledernes mehr haben. Schlaflieder, Liebeserklärungen und – bei „Strass’n“ – zeitlose Aphorismen („wer no’ nie wen gern g’habt hat, der war no’ nie alloan“).

Musikalisch ist auch „Fön“ ein global orientiertes Album geworden, obwohl von Afrika und Tibet kaum noch etwas zu hören ist. Aber auch Amerika ist ja ein fernes Land, und Hubert von Goisern derzeit vielleicht so etwas wie ein österreichischer Soulsänger. Als Produzent in eigener Sache mixte er dann noch Salsa, Reggae und Blues dazu –- da wirkt die ungestüme Alpinkatzenzeit fast wie eine pubertäre Jugendepisode. Als regionale Widerhaken blieben nur die derbe österreichische Sprache und die oft im Hintergrund örgelnde steirische Ziehharmonika. Mal sehen, ob das noch jemand als „Volksmusik“ bezeichnet.

Die Grazer Band Deishovida hatte dagegen (auf ihren CDs) schon immer einen großen Bogen um alpenländische Traditionen gemacht. Ihnen war die ländlerische Tanzmusik einfach zu „gerade“, die überließen sie lieber Akkordeon-Punkbands wie Attwenger, und so schön artifiziell jodeln wie Broadlahn können die fünf Grazer auch nicht. In der österreichischen Folk-Avantgarde galt Deishovida (hochdeutsch: „die schon wieder“) aber dennoch als Aushängeschild – sozusagen als Klasse für sich.

„Fast Folk“ nannten sie einst ihre erste CD, was zu allerlei Spekulationen einlud. Die Musik war fast (noch) europäischer Folk. Sie war auch schnell, ja hektisch, aber doch alles andere als Fast-Food-Musik. Denn die Mitglieder von Deishovida verfügen mehrheitlich über einen musikakademischen Hintergrund. Drehleier-Spieler Mathias Loibner hat sogar Kompositionslehre studiert.

Und das kommt dem neuen Album „Gaisfeld“ (aufgenommen im gleichnamigen Ort) hörbar zugute. Hiermit hat Deishovida den Schritt vom Fast-Folk zum Post-Folk vollzogen. Nicht nur, dass die Stücke deutlich mehr Ruhe ausstrahlen, die kompositorischen Ideen werden nun in aller Konsequenz durchgearbeitet. Jazz, Funk und Minimal Music sind zu spüren, doch der Einsatz von Geige, Drehleier und Akkordeon hält die Verbindung zur traditionellen Musik. Eine Entwicklung wie bei der polnischen Post-Klezmer-Band Kroke, die jüngst mit „The Sounds of the vanishing World“ ein konzeptionell ähnlich ambitioniertes Album vorgelegt hat.

Dabei sind Deishovida immer auch für kleine schalkreiche Überraschungen gut. Das Stück „funk.ampl“ (sprich: Funkampel) etwa ist ein Liebeslied, dessen poppige Widmung („this is my song for you“) hinter allerlei jazzigen Riffen versteckt nur kurz offengelegt wird, so wie der Exhibitionist schnell mal seinen Mantel aufschlägt. Und wenn mal gesungen wird, dann ist die Poesie ganz eigen: „Auf dass kein Kugelwasser trübe des Blitztümpels Herzreibung“. Avantgardistischer kann Folkmusik kaum sein. CHRISTIAN RATH

Hubert von Goisern: Fön (Virgin) Deishovida: Gaisfeld (Extraplatte/nrw)

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