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zwischen den rillenKaminfeuer-Elektronik: Zero 7 und der Folky-Sampler

Frühlingsgefühle digital

Das Glück lag, glaubt man Oswalt Kolle, in den einfachen Dingen. Es wog sich im Wind wie die Hoden des jungen Mannes, der Hand in Hand mit seiner Liebsten durch ein Kornfeld schwebte. Sonnenstrahlen wärmten die nackten Körper und brachen sich im wallend blonden Haar. Bei David Hamilton stand die Sonne schon tiefer, das Glück saß weichgezeichnet und eine Spur melancholischer in einer Astgabel, fünfzehnjährig und nicht minder nackt.

30 Jahre später läuft man nur noch selten nackt durch Kornfelder und auch die Astgabel als Ort der unschuldigen Kontemplation hat ausgedient. 30 Jahre später liegt das Glück im Debütalbum des britischen Produnzentengespanns Zero 7.

„Simple Things“ funktioniert im Alltag des postmodern gestressten Menschen wie Hamiltons Weichzeichner. Es taucht, auf Repeat gestellt, einen Tag deines Lebens in ein irreal warmes Licht, stillt deine Sehnsucht nach einer anderen, besseren Welt. Würde man dem doch eher bodenständigen Pärchen aus der Fernsehwerbung reines MDMA in ihren Caro-Land-Kaffee rühren, es würde genauso nach diesem Album schreien wie die internationale Hipster-Presse. Nur ein Indiz dafür, dass Henry Bins und Sam Hardaker auf „Simple Things“ alles richtig machen.

In Zeiten, in denen VW mit einem Nick-Drake-Song um die Generation Golf wirbt und der NME – Stichwort: „Quiet is the new loud“ – gleich ein New Acoustic Movement ausruft, treffen Zero 7 exakt den richtigen Ton. Das Hippieeske ihrer mit Folk und HipHop gefütterten Air-Entschlackung wird von den Kindern der elektronischen Revolution nicht länger als regressiv empfunden. „Simple Things“ ist dieser Tage eine Option: alle Styles scheinen bis zum Erbrechen durchdekliniert, alle Nächte durchgetanzt, alle Pülverchen probiert; wieso sollte man da nicht gleich aufs Land ziehen und mit möglichst vielen Kindern die eigenen Gurken ernten. Oder, alternativ: vorerst nur zu Hause bleiben und Zero 7 hören.

„A Tribe Called Procul Harum“ wie der Pressetext Zero 7 zu umschreiben vorschlägt, taugt nicht länger als Beleidigung. Zu groß ist der Respekt vor ihrem Talent, die ganz großen Gefühle, um nicht Kitsch zu sagen, mit einer an HipHop geschulten Tightness auszubalancieren, die auch ein Chefmaschinist wie DJ Premier ohne Diskussion abnicken würde. Ihre Musik ist symptomatisch, ein Plädoyer für die Rückkehr des Songs, der Soundtrack zur mentalen Stadtflucht. Und das Beste daran: Ein Symptom kommt selten allein.

„If only one person does it, they may think it’s really sick. If 50 people do it, in full harmony, they may think it’s a movement“, sang Arlo Guthrie Ende der 60er, vom Neo-Folk-Sound der Stunde nichts ahnend. Wollte man ihn auf dem Laufenden halten, man müsste ihm eine Kopie von „Folky: Acoustic Music in Digital Times“ schicken.

Die größtenteils aus Exklusivmaterial bestehende Compilation des Kölner Dance-Indies Spectrum Works kann durchaus als Positionspapier des vermeintlichen „Movements“ gelesen werden, zumal der Londoner Poptheoretiker Kodwo Eshun dem Phänomen in den Linernotes zu „Folky“ seine quasi hochkulturelle Absolution erteilt.

Folk ist hier – wie bei Zero 7 , die mit „Monday Night“ einen wunderschönen „Simple Things“-Nachschlag beisteuern – eher ein sehnsüchtiges Gefühl als ein festgesteckter Referenzrahmen. Alle vertretenen Künstler – vom amerikanischen Houseproduzenten King Britt, über die Augsburger Nu-Jazz-Combo Les Gammas bis hin zu Folke Jensen, der Band Detlef Diedrichsens – eint vor allem eines: der unbedingte Wille zur Harmonie.

Das mag sentimental klingen und ist doch zeitgemäß; mehr jetzt und hier, als die neueste 2Step-Compilation vor einem Jahr hätte sein können. Pusteblumen-Cover statt umgestürzter Moët-Flaschen, gehauchte Gittarren-Pizzicati statt subsonischer Würgebässe; ein Ansatz der alles an Inklusivität und milde lächelnder Mellowness hält, was er verspricht. Eshun, der in seinem gefeierten Theoriedebüt „More Brilliant than the Sun“ noch die Breakbeat-Gewitter der Beat-Scientists nach extraterrestrischen Peilsendern abscannte, zeigt sich angesichts der neuen Sensibilität ähnlich erlöst wie der Hörer. Als hätte er nie in den Clubs dieser Welt auf die Landung des Motherships gewartet, postuliert Eshun nun die Neue Häuslichkeit: „Think of these songs as themes for a new domesticity. Music for a soft situation“, schreibt er, schiebt sich ein Kissen unter und fügt hinzu: „Folky“ garantiere nicht weniger als „maximum emotion in minimum time“. Ein Angebot, das man dieser Tage nicht ausschlagen sollte.

CORNELIUS TITTEL

Zero 7: „Simple Things“ (Ultimate Dilemma). V. A.: „Folky – Acoustic Music in Digital Times“ (Spectrum Works)

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