multikulti in der wüste:
von KARL WEGMANN
Die Friends of Dean Martinez blasen ihren wabbeligen Wüstensound durch Willys gute Stube. Ihr neues Werk, „Wichita Lineman“, ist die schon gewohnte lahmarschige Angelegenheit. So wabert wieder Wehmut durchs kakteengesprenkelte Sandmeer – aber nicht durch Willys Wohnzimmer. Hier haben alle nur kurz aufmerksam zugehört und dann ihr Mundwerk eingeschaltet. Konscho und ich streiten darüber, ob die neue R.E.M. nun totaler Mist (er) oder genial (ich) ist. Einig sind wir uns aber, dass Travis einen großartigen Schatten werfen, wenn man den beiden ersten Single-Auskopplungen glauben darf. Hermann kommt mit der breit ausgewalzten Information daher, dass es Budweiser jetzt wieder in den langhalsigen Flaschen gibt, während Bernhard uns von den Coen-Brüdern erzählt. Die drehen gerade „To the White Sea“, einen Film über einen Ami, der am Tag nach dem Atombombenabwurf auf Hiroshima als Fallschirmspringer in Japan landet. Bernhard ist ganz hippelig: „Brad Pitt spielt die Hauptrolle, und nach 5 Minuten gibt’s keine Dialoge mehr.“
Willy hat gerade „Ein Freund der Erde“ ausgelesen und ereifert sich zunächst über die Notwendigkeit, und später, nach leicht erhöhtem Pegelstand, über die Vergeblichkeit allen ökologischen Tuns. Daraus entwickelt sich kurz eine Diskussion über T. C. Boyle und biologische Lebensmittel. Dann ist das Bier alle und Willy muss in den Keller, um Nachschub zu holen. Die Gelegenheit nutzt Konscho, um die Friends of Dean Martinez aus dem CD- Spieler zu verscheuchen und Alejandro Escovedo einzufädeln. Und plötzlich sind wir ohne Grund bei der Kindererziehung. Bernhard berichtet uns von dem fatalen Kinobesuch seines Jüngsten: „Alex hat sich ‚Almost Famous‘ angeschaut, ich hatte ihn sogar dazu ermutigt, und jetzt bin ich im Arsch. Jedes Mal, wenn ich an seinen Klamotten oder so herummeckere, sagt er nur: ‚Alter, mach dich nicht lächerlich, ich weiß doch genau, wie ihr in den Siebzigern rumgelaufen seid.‘ “ Das ist schlimm – für Bernhard. Wir quatschen über die Siebziger. Jemand schlägt vor, Neil Young aufzulegen, aber der ist bei uns nach den letzten beiden Alben total abgemeldet. Auf der kommenden Tour sollte der alte Büffel also wirklich eine bisschen Enthusiasmus zeigen, sonst ist er weg vom Fenster. Plötzlich kriegen alle Hunger, und wir kommen auf Jean-Claude Izzos Marseille-Trilogie. Der Anhang im letzten Band, wo sie die ganze Musik auflisten, die Fabio Montale in den Geschichten hört, ist einfach fabelhaft. Aber wir vermissen die Kochrezepte. Montale isst ständig die feinsten Sachen, leider wird die Zubereitung der Gerichte aber meist nur lückenhaft beschrieben. Wir beschließen, einen Brief an den Herausgeber zu schreiben, wissen aber gleichzeitig, dass wir es nicht tun werden, nur eine Bierlaune. Dann geht Willy in die Küche, um den Spargel zu schälen. Als ich in dieser Nacht nach Hause schlurfe, bin ich runderum abgefüllt und zufrieden. Der Abend war wirklich sehr nett und informativ und er gipfelte in der Erkenntnis, dass man die Friends of Dean Martinez am besten allein hört, und zwar über Kopfhörer.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen