■ beiseite: verzaubert
Es war in den letzten Jahren ja immer so eine Sache mit dem schwul-lesbischen Filmfestival „verzaubert“: Zu viele gängige US-Produktionen sorgten dafür, dass sich der Zauber in Grenzen hielt. Doch dieses Mal ist das anders, die Vielfalt ist so groß wie nie: Der Veranstalter „Rosebud Entertainment“ hat 75 Spielfilme, Kurzfilme und Dokumentationen aus 17 Ländern aufgetrieben und zusammengestellt. Darunter deutsche Erstaufführungen sowie Europa- und Weltpremieren.
„verzaubert“ hat sich zum europaweit größten Genre-Festival für Queer-Filme gemausert und findet mittlerweile in fünf großen Städten statt. Wer sich einen Überblick darüber verschaffen will, was sich an Tendenzen im schwul lesbischen Kino abzeichnet, der ist hier sehr gut aufgehoben.
Die Zuschauer dürfen den besten Spiel- und Kurzfilm wählen. Dafür gibt es den „Rosebud Award“ und 5.000 beziehungsweise 1.000 Euro auf der Abschlussparty in Köln. Großes Manko allerdings auch in diesem Jahr: Fast alle Filme sind nur einmal zu sehen. Was etwa im Fall des Mehrteilers „Queer as Folk“ schade ist. Wer weiß, ob die britische TV-Produktion, die in vielen schwulen Cafés dauerrotiert, jemals im deutschen Fernsehen läuft?
„Queer as Folk“ ist die Geschichte eines jungen Schwulen, der das auf der Insel vorgeschriebene Alter für Homo- und selbst Heterosex nicht erreicht. Der Film steht exemplarisch für das neue lesbisch-schwule Kino, er steht für stetig wachsende Spannung und Anspruch. Wie auch „Blessed are those who Thirst“ aus Norwegen, gedreht auf der Grundlage eines Romans der Bestsellerautorin und ehemaligen norwegischen Justizministerin Anne Holt: Eine lesbische Kriminalkommissarin hat rassistisch motivierte Vergewaltigungen und Morde aufzuklären. Dagegen gibt Willem Dafoe einen schwulen FBI-Superagenten in „The Boondcock Saints“ und löst einen komplizierten Fall nach dem anderen.
Kämpfe anderer Art bieten Produktionen, die die Schattenseiten einer „verzauberten“ (ein alter schöner Euphemismus für schwul) Identität thematisieren. In „Rites of Passage“ kämpft ein junger Mann in einer einsamen Blockhütte bis aufs Messer gegen seinen homophoben Vater. Ein schwuler Thriller, wenn man so will, ein Thriller, der es in sich hat. Darüber hinaus gibt es Filme zum Thema Aids, einen aus den Niederlanden, der die Jahre Klaus Manns im Exil nachzeichnet, oder die Dokumentation „My Feminism“.
Doch nicht nur schwere Kost bietet das Filmfestival: Schöne Coming-out-Geschichten wie „Fucking Amal“, große Gefühle mit Brooke Shields und James Duval in „The Weekend“, oder echten, leibhaftigen Sex mit „Perlen explizierter Lesbenerotik“ und allerhand andere Leckereien im lesbischen beziehungsweise schwulen Kurzfilmprogramm.
Der Abschlussfilm „Boys don't cry“ (deutsche Premiere) basiert auf der wahren Geschichte von Teena Brandon. Als Frau geboren, sehnt sie sich nach einer männlichen Identität und führt das in diesen Fällen typische Doppelleben. Bis Teena Brandon ermordet wird – nur weil sie als „Brandon Teena“ leben wollte.
Andreas Hergeth
In den Kinos Hackesche Höfe I und II, Termine siehe cinema-taz, mehr Infos: www.queer-view.com/verzaubert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen