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Archiv-Artikel

unterm strich

„Alles ist neu für das Auge, alles ist in jedem Augenblick neu“, schrieb der Experimentalfilmer Stan Brakhage in einem Brief an einen Freund. „Das Problem mit meinen Filmen ist, dass die Leute sie aus der anerzogenen Erfahrung mit normalen Filmen lesen. Für sie sieht mein Film so aus, als würde das Subjekt oder die Person springen. Aber was ich in Wirklichkeit zeige, ist, dass die Augen springen und durch die Gegend streifen.“

Wahrnehmung und Sehen beschäftigten Brakhage: etwa in „Desistfilm“ (1954), in dem die Kamera die Bewegungen der Augen nachzuahmen versucht. Oder in „The act of seeing with one’s own eyes“ (1970). Darin begibt sich Brakhage in ein Pittsburgher Leichenschauhaus. Er filmt die toten Körper und die Arbeiten, die daran verrichtet werden – nicht, um zu erschrecken, sondern um die Wahrnehmung des Todes aus ihrer metaphysischen Verschalung zu lösen. So wie die Körper in „The act of seeing with one’s own eyes“ Material sind, so ist dies auch der Filmstreifen selbst, den Brakhage zerkratzte, in den er abstrakte Bilder schabte.

Der 1933 in Kansas City geborene Brakhage begegnete Mitte der 50er-Jahre in New York den Avantgardefilmern Maya Deren, Jonas Mekas, Maria Menken und Kenneth Anger; Anfang der 60er gründete er gemeinsam mit Mekas die Film Maker’s Cooperative. Er lehrte und schrieb über Film, drehte selbst bald 400 Filme, lebte trotzdem zurückgezogen in einem Blockhaus mit seiner Frau Jane und den gemeinsamen fünf Kindern. Deren Leben hielt er filmisch fest, etwa in „Window Water Baby Moving“ (1969). Am Sonntag ist Stan Brakhage 70-jährig in einem Krankenhaus in Victoria, British Columbia, gestorben.