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Archiv-Artikel

unterm strich

Arno Widmann, einst Chefredakteur der taz, heute Redakteur der Berliner Zeitung, hat für das Internet-Metafeuilleton Perlentaucher.de wieder Bücher vom Nachttisch geräumt – also ein Update seiner bekannten Kolumne geliefert. In der dort enthaltenen Besprechung der Tagebücher von Rudi Dutschke holt Widmann zu einer harrschen Selbstkritik seiner eigenen Generation aus – wir kolportieren die deftigsten Stellen: Das Tagebuch, so schreibt Widmann, „wird aufräumen mit dem Mythos von 1968. Damals fand keine Befreiung statt. Der Muff unter den Talaren wurde möglicherweise beseitigt. Aber nicht um endlich frische Luft zu haben, sondern um besser im eigenen Mief ersticken zu können.“

Dutschke sei, so Widmann, „an keiner Stelle von irgendetwas begeistert. Nicht von der Liebe, nicht von der Natur, nicht von Schönheit. Nicht einmal. Es gibt zwei Stellen, an denen er vermerkt, dass es ihn freut, wenn er seine Kinder musizieren hört. Sonst kommt Musik nicht vor. Essen und trinken spielen bei dem Anhänger des historischen Materialismus keine Rolle. Kein einziger Roman wird gelesen, kein Gedicht. Malerei kommt nicht vor. Die Natur lässt ihn kalt. Alles lässt ihn kalt.“ Statt dessen bezeichnet ihn Widmann als „Fachidiot der Revolution“; als „Tote auf Urlaub“ sah Dutschke selbst die Revolutionäre, dazu Widmann: „Als sei es ein Ehrentitel, das einzige Leben, das man hat, wegzuwerfen wie einen Köder, um so anderen möglicherweise ein besseres Leben zu verschaffen.“ Aus Büchern von Marx, Engels, Lukács, Karl Korsch, Paul A. Baran, Paul M. Sweezy, Ernest Mandel und Hegel habe sich Dutschke seine Welt „zusammengekleistert“: „Dutschke interessiert sich für nichts, das außerhalb des von seinen Hausheiligen definierten Terrains sich abspielt. Er ist darin ein durch und durch autoritärer Charakter.“ Und weiter: „Die Lektüre seiner Tagebücher ist auch deshalb so deprimierend, weil man davon ausgehen muss, dass Rudi Dutschke einer der intelligentesten, wachsten, hellsten Köpfe der Studentenbewegung war. Der Rest dieser Generation war über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte noch um vieles verbohrter, blinder und tauber als dieser in seinem revolutionären Spiegelkabinett sich selbst gefangen haltende rastlose Geist.“ Widmanns Fazit: Die Tagebücher halten „meiner Generation einen wenig schmeichelhaften Spiegel hin. Wir erkennen uns darin und sind froh, dass wir so lange keine Chance bekamen, die Geschicke dieses Landes zu bestimmen. Dutschkes und unsere Räterepublik wäre ein fürchterliches Desaster geworden.“ Wow! Was ist dagegen schon das 68er-Bashing der Nachgeborenen!