unterm strich :
„Prominente lesen“ heißt es ab morgen in Berlin. Wer jetzt frohlockt, dass Leute wie Boris Becker, Sonja Zietlow oder Sabine Christiansen sich jetzt endlich weniger mit Fernsehen und mehr mit Goethe beschäftigen, der sieht sich enttäuscht. Gemeint ist nämlich: „Prominente lesen vor“. Im Rahmen des Literaturfestival Berlin, das vom 6. bis 19. September stattfindet, hat der Berliner Bildungssenator Klaus Börger 30 Prominente dazu überreden können, an sechs Berliner Schulen den Vorleser zu spielen. RTL-Nachrichtenmann Peter Kloeppel, der noch gestern beim Fernsehduell zwischen Angela Merkel und Gerhard Schröder die großen Probleme dieser Republik erfragte, wird in der Grundschule „Papageno“ in Berlin-Mitte aus „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ vorlesen. Und Verbraucherschutzministerin Renate Künast hat sich dazu entschlossen, Jungwähler zu rekrutieren. In der Kurt-Schwitters-Gesamtschule in Prenzlauer Berg stellt sie eine italienische Sippschaft vor.
Auch über Martin Walser und den Antisemitismus wird mal wieder diskutiert. Im Vergleich zur Diskussion um Walsers Paulskirchen-Rede kocht die Debatte diesmal aber auf kleinem Flämmchen. Marcel-Reich Ranicki und Frank Schirrmacher haben sich jedenfalls noch nicht eingeschaltet. Worum geht es? Der Literaturwissenschaftler Matthias N. Lorenz will in seiner Studie „Auschwitz drängt uns auf einen Fleck – Judendarstellung und Auschwitzdiskurs bei Martin Walser“ herausgefunden haben, dass dessen Werk von Antisemitismus durchtränkt sei. In der Süddeutschen Zeitung erhielt er dafür vom Heidelberger Professor Dieter Borchmeyer Schelte. Lorenz’ Buch sei „im Gehalt denunziatorisch“ und „wissenschaftlich indiskutabel“. Auch Ulrich Greiner kann sich in der aktuellen Ausgabe der Zeit nicht für die Studie begeistern. Lorenz spiele das alte, billige „Antisemitismusspiel“, seine Vorwürfe gegen Walser entbehrten jeglicher Substanz. So versuche Lorenz nachzuweisen, dass die Figur Kaltammer aus Walsers Roman „Das Schwanenhaus“ antisemitisch sei, weil die Initialen Kaltammers – JFK – an Marcel Reich-Ranicki – MRR – erinnerten. Nichts könnte falscher sein, so Greiner. Denn Kaltammer – JFK – sei ein verstecktes Porträt von Zeit-Literaturpapst Fritz J. Raddatz – FJR. Von Antisemitismus könne also keine Rede sein. Elke Schmitter teilt im aktuellen Spiegel Greiners und Borchmeyers Ablehnung nicht. „Ohne Pathos, mit glaubwürdiger Schlichtheit und philologischer Akribie“ gelinge es Lorenz, das Walser’sche Werk kritisch zu hinterfragen. Auf die nächsten Beiträge in der neuesten Antisemitismus-Diskussion darf man gespannt sein.