piwik no script img

u-boote im fernsehen von MARTIN BÜSSER

Am Filmset kann die Zeit ganz schön lange werden. Vielleicht erklärt dies, warum Kameraleute, Beleuchter oder Kabelträger immer mal wieder mit kleinen, aber eindrucksvollen Gesten ins Geschehen eingreifen und für die Erfüllung des kulturellen Auftrags sorgen. Ihnen nämlich ist zu verdanken, dass die so genannten unbequemen Inhalte in Sachen Politik und Kultur längst nicht mehr in den dazu vorgesehenen Spezialsendungen, sondern zur besten Sendezeit im Fernsehkrimi verhandelt werden. Wie U-Boote tauchen sie dort als Fremdkörper für wenige Sekunden an der Oberfläche auf.

So zum Beispiel in einer Folge des „Bullen von Tölz“: In der Wohnung eines Verdächtigen, der sich später als Mörder herausstellen sollte, war an der Wand mehrfach das gerahmte Porträt eines bärtigen Mannes zu sehen. Eingeweihte erkannten sofort, dass es sich um den Schriftsteller und Anarchisten Erich Mühsam handelte. Mit Drehbuch oder Handlung hatte dieser nichts zu tun: Der Verdächtige war ein völlig unbelesener, grobklötziger Skifahrer in Frührente.

Ähnlich absurd, als während einer Befragung im „Tatort“ – Schauplatz: großräumiges Villenwohnzimmer – im Vordergrund, leicht unscharf, ein Buch des legendären „März“-Verlages auftauchte. taz-Leser mögen ihn noch kennen, den Verlag mit seinen zitronengelben Covern, der vornehmlich streng agitatorische K-Gruppen-Theorie und Beat-Literatur veröffentlichte und unter anderem durch Günter Amendts „Sexfront“ bekannt wurde. In der ansonsten bücherfreien Villa des Besitzers – Marke Golfspieler – stellte das Buch einen solch logischen Bruch dar, dass jeder halbwegs hellsichtige Regisseur die Aufnahme hätte verhindern müssen.

Reine U-Boot-Subversion also, wie auch das Auftauchen einer Amon Düül-Schallplatte in einer „Soko“-Folge. Die alte Psychedelic-Band rund um Uschi Obermeier und die berüchtigte „Kommune 1“ war im Drehbuch sicher nicht vorgesehen und blieb entsprechend unkommentiert eingeblendet. Immerhin lange genug, um den Bandname und LP-Titel identifizieren zu können. Das Spannendste an den deutschen Krimis, scheint es, sind seine Requisiten geworden.

Über Jahre haben Medienwissenschaftler davor gewarnt, dass das Fernsehpublikum in den USA mittels versteckter Werbung manipuliert werde. Gemeint waren kurze Einblendungen von Coca-Cola-Flaschen, die zwar nicht vom Auge, aber vom Unterbewusstsein wahrgenommen werden. Weil allerdings sowieso alle zu jeder Zeit Cola trinken, hatten es die Medienwissenschaftler schwer, den Beweis anzutreten, dass der Konsument wegen dieser „hidden pics“ sofort zum Kühlschrank laufen würde. Der deutsche Fernsehkrimi von heute hat einen Gegenbeweis zu solchen Siebzigerjahre-Thesen angetreten. Eine ganze Minute sichtbar Erich Mühsam im Bild – und trotzdem kein Ansturm auf dessen Bücher. Linken Kleinverlegern kann da höchstens geraten werden, künftig mit Aufklebern zu arbeiten: „Das Buch zum Tatort.“ Vielleicht wirkt es ja.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen