troja ante portas von REINHARD UMBACH :
Kaum war ich examiniert, hatte ich schon meinen ersten Schüler: den Althistoriker und Mitherausgeber der Propyläen-Weltgeschichte Alfred Heuß. Meine Mitbewohnerin hatte ihn im Theater kennen gelernt, als sie in Shakespeares Sturm neben ihm saß. Seitdem ging er ihr nicht mehr von der Hacke und kam auch zu uns anderen in die Küche.
Zwei Rätsel, gestand der Weise, seien ihm in seinem Leben noch verblieben. Was sei zum Beispiel Mengenlehre? Da griff ich tief in meine Braintasten und sprach: „Die Mengenlehre ermöglicht, auch ohne Kenntnis der Zahlen durch eindeutige Abbildungen Dinge oder Ereignisse numerisch zu erfassen.“
Wund lachte der Professor auf. „Ein griechischer Hirte“, fuhr ich mit einem Beispiel seiner Lebenswelten fort, „packte sich morgens beim Austreiben seiner Herde für jedes Tier ein Steinchen in die Tasche und holte es am Abend wieder heraus. Hatte er dann ein Steinchen mehr im Sack, so fehlte ihm ein Schaf.“ – „Und wenn ein Steinchen fehlte?“ – „Dann hatte er ein Schaf gewonnen!“
Diesmal lachte er bukolisch und bat mich, ihm auch das zweite Rätsel zu lösen, wie es nämlich in einer Spielhölle zuginge.
Wir trafen uns vor einer „Flippothek“. Als Erstes flipperten wir zusammen. Das aber war nicht sein Ding: Fünfmal gab ich ihm die Kugel, fünfmal schnappte er daneben. Dann wurde nebenan der Ferrari frei, und er rochierte rüber in den Sitz. Dickbrillig ließ er sich von mir die Rennstrecken dieser Welt einstellen, aber schon in der ersten Kurve crashte er.
Hätte ich sagen sollen: „Golo Mann hat es aber letzte Woche in Silverstone wenigstens in die Strohballen geschafft“? Nein.
Lieber suchte ich uns nun eine Daddelkiste aus, an der ich selber gerne spielte: einen „Crown Juwel“. Ich versenkte einen Heiermann und schon nach wenigen Drehungen der Scheiben liefen drei Kronen ein und er hatte seine ersten fünf Sonderspiele. Vom Flackern und der triumphalen Melodie des Kastens begeistert, drückte er zweimal auf die Risiko-Taste und hatte schon 20. Ich stoppte ihn und sagte „Halt! Jetzt melken wir den Apparat!“ Er patschte in die Hände und rief: „Melken auch noch! Wie bei den Schafen!“
Die Serie lief blendend und beim ominösen Zählerstand 13 hatte er in der Mitte wieder eine Krone und drei weitere Ausspielungen waren fällig: erst 10, dann 50 und zuletzt sogar 100 Sonderspiele! Der Kasten kriegte sich gar nicht mehr ein, rasselte und quiekte und jagte seinen Zählerstand nach oben. Der Professor war ganz trunken. „Schliemann“, dachte ich bei mir, „Schliemann hat den Schatz des Priamos entdeckt.“
Eine Stunde dauerte es, bis er die Gewinne eingefahren hatte. Ab und zu pumpte der erschöpfte Automat Gewinnabschläge in Form von dicken Heiermännern aus. Wie im Sterntalermärchen hielt der alte Heuß seine Jacke unter den Geldschacht und ließ die klimpernden Münzen hineinrauschen, dass es eine Freude war. Glück kann so einfach sein.
Als wir erschöpft aus der Spielhölle traten, lag vor uns das Tierfachgeschäft „Zoo-Busch“. „Herr Professor“, sagte ich, „es würde sogar für ein Schaf reichen!“ Und zum dritten Mal, und diesmal blökend, lachte der Professor auf.