taz-Serie Verschwindende Dinge (1): Dem Punk fallen die Haare aus
Kunterbunter Iro, Nietengürtel, Sicherheitsnadel in der Wange? Vom Punk ist heute nicht mehr viel übrig – und auch der Nihilismus der 80er ist nicht mehr angesagt.
Punk ist nicht nur dead, er riecht auch schon schlecht. Damit gehört er also auf jeden Fall gleich an den Anfang unserer Serie über Dinge, die im Verschwinden begriffen sind – beziehungsweise in diesem Fall der aussterbenden Jugendkulturen. Man sieht Punks nur noch in Ausnahmefällen im öffentlichen Straßenbild: zum Beispiel nachts auf der Straße, um eine zu quarzen vor Punkkonzerten, oder vor Clubs wie dem Sage in der Köpenicker Straße oder dem Mokum in der Danziger Straße in Prenzlauer Berg.
Aber selbst dann sehen die Punks eben nur noch selten so aus: kilometerweit hochgestellter und dabei kunterbunter Irokesenschnitt. Lederjacke, zerschlissene Jeans, Nietengürtel und Sicherheitsnadeln in Wange und Ohr. Der Punk vor der Kaufhalle, „Hastemanemark?“: Friede sei seiner Asche.
Seltsame Tage zwischen Weihnachten und Neujahr sind das: nicht richtig Feiertage, nicht richtig Alltag. Irgendwie „dazwischen“ eben. Und auch eine Zeit des Abschieds: Das alte Jahr schwindet, man blickt zurück.
Ein naheliegender Gedanke, sich da einmal mit Dingen zu beschäftigen, die im Verschwinden begriffen sind: Bis Anfang Januar verabschieden wir uns an dieser Stelle von Alltagsphänomenen und Gebrauchsgegenständen, von denen manch einer vielleicht gar nicht wusste, dass er sie schon vermisst hat.
Der Auftakt der Serie gebührt der Subkultur der Punks. Demnächst fühlt sich unsere Autorin beim Telefonieren in einer Telefonzelle seltsam unwohl. Und schließlich lauscht ihr Kollege dem Glockenläuten in dieser Stadt – und stellt fest: Er hört immer weniger. taz)
Voküs und Plena
„Stimmt doch gar nicht“, kommt gleich der Protest aus den eigenen Reihen der KollegInnen – man wird aufmerksam gemacht auf die Hausbesetzerszene rund um die Rigaer Straße in Friedrichshain, die noch immer so aussehe wie in den Achtzigern. Aber sind das wirklich die guten alten Punks, die mit den nihilistischen Slogans wie „No Future“? Sind es wirklich jene Punks, die sich selbst als Abschaum, als Ausgestoßene und Aussätzige sahen und deren politischer Fokus eher unscharf blieb? Wären diesen Punks die Voküs und Plena, der ganze Veränderungswille der Hausbesetzer, nicht viel zu viel Arbeit?
„Diese Szene ist nicht so meins“, sagt denn auch Henry Voss, genannt Vossi, vom Plattenladen Vopo Records in der Danziger Straße über die Nachfolgegeneration des 80er-Punks. Vopo-Records ist eine der letzten Anlaufstationen für Leute in dieser Stadt, die sich ihre Punkmusik nicht beim Streamingdienst Spotify ziehen wollen.
Voss, bald 50 Jahre alt, lebt seit 1991 in Berlin. Geboren in Greifswald und aufgewachsen im mecklenburgischen Torgelow, sammelte er schon zu DDR-Zeiten Westschallplatten und Lizenzpressungen des DDR-Labels Amiga. Nach der Wende eröffnete er mit einem Freund den Laden Vopo Records. Vinyl-Alben sind bis heute Voss’ Spezialität.
Obwohl er hier „in seinem eigenen Kosmos“ lebt und abends noch immer in den letzten Punkschuppen dieser Stadt als DJ auflegt, sagt auch er, dass sich das Erscheinungsbild von Punk verändert habe. Zwar gebe es ihn immer noch, „den Punk“. Zum Beispiel neulich, bei einem Konzert der Londoner Punkband Peter and the Test Tube Babies, die es seit fast vierzig Jahren gibt. „Da sah eigentlich fast alles aus wie immer“, sagt Voss. Nur: „Es sind halt immer auch Leute in meinem Alter dabei“, sagt der Mann mit der Berliner Schnauze und der sorgfältig verwuschelten, blondierten Frisur. „Viele von denen haben halt überhaupt keine Haare mehr auf dem Kopf, die sie hochstellen könnten“, lacht er in einer Art und Weise, dass es auch ein bisschen nach Schadenfreude klingt.
Henry Voss, Punk-Veteran
Banker in feinem Zwirn
Eigentlich, meint Voss, sei Punk schon lange keine Jugendkultur und auch keine Mode mehr. Punk sei eine Lebenseinstellung geworden. Und Lebenseinstellungen sieht man halt nicht immer auf den ersten Blick. Voss sagt, dass bei ihm auch viele Banker in feinem Zwirn einkaufen gingen. Und obwohl sie so spießig aussähen, trauten sie sich was. Sie fragten auch mal nach einer alten Platte von Black Flag, einer der einflussreichsten Bands der frühen amerikanischen Hardcore-Szene.
Andere Leute kaufen sich bei H&M ein T-Shirt mit Ramones-Aufdruck, um rebellisch auszusehen. Dabei haben sie noch keinen Song dieser großartigen New Yorker Band gehört, die Punk losgetreten hat wie kaum eine andere. So kommt es, dass ein Banker punkiger sein kann als einer, der Punk auf dem Shirt trägt.
So oder so: Es gehe bei Punk darum, meint Voss, gegen alles zu sein. Und dabei Spaß zu haben. Auch wenn er demnächst 50 wird und sich „die Sache mit dem No Future irgendwie überholt hat“, grinst er.
Womöglich hätte man diesen Text auch anders schreiben können. Vielleicht erinnern Sie sich, liebe/r Leser/in, noch an Shane MacGowan, den Sänger der irischen Folk-Punkband The Pogues? An den Mann mit den schlechten Zähnen? Den Mann, den Musikerin Sinnéad O’Connor einmal bei der Londoner Polizei wegen Drogenbesitzes anzeigte – im verzweifelten Versuch, wie sie sagte, ihn vom Heroin abzubringen? Jedenfalls verlor MacGowan im Jahr 2008 seinen allerletzten natürlichen Zahn. Anfang 2016 wurden dem Sänger dann in einer neunstündigen Operation 28 neue eingesetzt. In einer in Irland ausgestrahlten Dokumentation konnten sich Fans die Behandlung im Fernsehen anschauen. Sie durften sogar Zeuge werden, wie MacGowan seinen ersten Apfel seit 20 Jahren aß.
Irgendwo im Untergrund
Man kann es so sehen: Punk ist tot, wenn Shane MacGowan Wert auf gute Zähne legt. Man kann es aber auch anders sehen: Punk mag unsichtbar geworden sein, lebt aber irgendwo weiter im Untergrund. Denn immerhin hat der Punker MacGowan ein genial absurdes Theater aus seiner Verschönerung gemacht.
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