: shooting star, glücklich
■ Jule Neigel und Band am Freitag im Modernes: Ein Konzertbesuch und ein Interview mit der hochgepuschten Jule
Nach dem Konzert steht sie im Backstage und strahlt, umgeben von einer Schar von Freunden, die sich ganz unprofessionell mitfreuen. Toll sei's gewesen, sagt sie, so ganz entgegen ihren Befürchtungen. Immerhin hatten Kollegen sie eindringlich gewarnt: „Das Bremer Publikum gilt als sehr schwierig“. Doch die Bremer hatten Jule Neigel und ihre Band 20 Minuten zuvor stürmisch abgefeiert, und da ihr „die Stimmung in den Konzerten das Wichtigste“ ist, war ihr auch die Enttäuschung darüber, daß das Modernes mit rund 400 Leuten nicht gerade berauschend voll war, nicht anzumerken.
Hat sie sich nach jetzt fünf Auftritten im Rahmen ihrer ersten Deutschlandtournee in der für sie neuen, höheren Etage des Business eingerichtet? Nein, sagt sie, dafür sei alles noch zu neu und sie selbst zu wenig routiniert. „Wenn ich rausgeh, guck ich erstmal und halte mich zurück. Die volle Power bringe ich erst nach einiger Zeit“.
So war's. Als die Band loshämmert - ein bißchen hektisch, so als gelte es, all den Kritikern, die ihr das ungeliebte Schlagermäntelchen umgehängt haben, schon in den ersten Sekunden selbiges um die Ohren zu dreschen - da fehlt Jules Gesang der Druck, alles klingt ein wenig halbherzig, sie flattert wie ein aufgeregter Vogel über die Bühne und die Kritiker sammeln Argumente.
Was geht hier ab? Ist die durch sämtliche Medien so massiv gepuschte Jule Neigel, der shooting star des vergangenen Jahres, vielleicht nur der letzte Flügelschlag einer lahmgeschossenen Ente namens „Deutschrock“? „Schatten an der Wand“ singt sie, soo schlecht ist der Text ja nun auch nicht, und die Musik, naja, aber Moment mal... Auf einmal ist sie
voll da, die Jule Neigel, eine sehr gute, eine große Stimme tut sich da plötzlich auf, soulig, facettenreich, mit perfekter, nie übertriebener, häufig jazznaher Phrasierung. Dieses aufgerauhte, manchmal kahlige Timbre, die Art, die Töne anzufliegen wie eine Landebahn, das alles klingt doch wie...
Ich frage sie nach dem Konzert, ob sie sich der großen Nähe zum Gesang Inga Rumpfs bewußt ist, und es überrascht mich, wie sehr sie überrascht ist. „Ein Kompliment“ sei das für sie, und das ist ja auch in Ordnung. Fraglich allerdings, ob Inga Rumpf mit 23 schon so gut war wie Jule Neigel.
„Summertime“ singt sie gegen Ende, in der denkbar schwärzesten Version. Hier trägt sie bißchen dick auf, und ein etwas weniger abgestandenes Beispiel dafür, daß sie wohl alles singen kann, wäre sicher passender gewesen.
Die Band?: Soulmäßig besetzt mit klassischer Fünfer -Formation plus zwei Background-Mädels, und besser als ihr Leumund. Peter Reiter an diversen Tuten von der Flöte bis zum Baritonsax gefiel mir sehr gut, es gelang ihm durchgehend, sein Spiel in den Gesamtsound zu integrieren, für deutschen Rock nicht gerade typisch. Und auch Gitarrist und Composer Andreas Schmid, als Bühnentyp ein wenig steif, spielte sein Instrument unsentimental und unklischiert durch den Set.
Die Kompositionen allerdings überschreiten selten die aus Deutschen Landen gewohnten Grenzen - für die stimmlichen Qualitäten Jule Neigels sind sie oft zu schlicht und zu straight. Was draus wird, wird man sehen. Aber daß jemand, die ins Mikro singt wie Jule Neigel über kurz oder lang in der Versenkung verschwinden wird, ist doch sehr unwahrscheinlich.
rak
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