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Archiv-Artikel

schwabinger krawall: notlösungen von MICHAEL SAILER

Herr Hammler hat in der Zeitung gelesen, dass München pleite sei. Das heiße, sagt er, dass der Gürtel enger geschnallt werde. „Ab morgen gibt’s Malzkaffee, wie 46!“ Seine Frau wendet ein, 1946 sei er vier Jahre alt gewesen, richtigen Malzkaffee gebe es nur noch im Reformhaus, doppelt so teuer wie echter Kaffee. Außerdem sei nicht die Familie Hammler pleite, sondern bloß die Stadt, die zu anderen Zeiten das Geld zum Fenster hinauswerfe. Das sei gleich, brüllt Herr Hammler: „Ich bin München!“ Eine Stadt sei nicht der OB, sondern die Bürger, die dafür aufkämen, dass Firmen, die keine Steuern bezahlen, vierspurige Straßen und S-Bahnen nach Fuchshasnachting und sonstwohin bauen würden, und er gehe jetzt zum Stammtisch, weil ihm sonst der Kragen platze.

Während er seine Schuhe sucht, liest Frau Hammler in der Zeitung, der Sohn von Uschi Glas habe einen seiner Untergebenen mit Alkohol übergossen und angezündet und weigere sich, die Arztkosten zu bezahlen. „Da haben wir ja noch Glück“, denkt sie.

Am Stammtisch sagt Herr Hammler, er habe beschlossen, keine Steuern mehr zu zahlen, und damit fange er gleich an. „Da ziehst du sechzehn Prozent ab!“, herrscht er die Kellnerin an, die zum Kassieren kommt. „Die Brauerei verdient sich am Mehrwert dumm und deppert, und ich darf brennen. So weit kommt es noch!“ Die Kellnerin besteht auf vollständiger Zahlung, worauf Herr Hammler sagt, wenn sie es durchaus darauf anlege, ihm das letzte Hemd auszuziehen, könne man auch stante pede einen neuen Staat gründen, in dem niemand Steuern bezahle außer Kellnerinnen, diese allerdings gleich achtzig Prozent.

Er habe in der Zeitung gelesen, der Graf Dracula aus Schenkendorf in Brandenburg habe genau das getan und um Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland gebeten; wenn diese verweigert werde, gebe es auch noch eine provisorische Reichsregierung, der man sich unterstellen könne.

Die Kellnerin, unschlüssig, ob sie die Polizei oder einen Sanitäter rufen soll, eröffnet einen Deckel über die Zeche und verfolgt den weiteren Gründungsakt der Volksrepublik Augustinergarten aus der Ferne. Nachdem „Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld“ zur Nationalhymne erkoren ist, ermüden die Staatsgeschäfte, und als endlich keiner mehr einen Redebeitrag leisten mag, löst sich die verfassungsgebende Versammlung auf.

Am nächsten Tag erwacht Herr Hammler mit einem dicken und moralischen Kopf und erklärt nach Lektüre der Zeitung, es sei unabdingbar, sofort hundert Mark für die Afrikaner zu spenden. Seine Frau wendet ein, es gebe keine Mark mehr, Euros habe man nicht genug, um sie aus dem Fenster zu werfen, und schließlich liefen in Deutschland hunderte von Milliardären herum, die auch etwas tun könnten, anstatt in Fernsehgalas armen Leuten ihr Erspartes abzupressen und mit dem Ferrari durch die Belgradstraße zu brausen. Herr Hammler liest, Günther Jauch habe gesagt, man müsse sich den Sinn für Verhältnismäßigkeit erhalten, grummelt kurz und blättert weiter.