schwabinger krawall: generalprobe für silvester von MICHAEL SAILER :
Der Taxifahrer traut seinen Augen kaum, als er Herrn Reithofer sieht. Der ist vollständig schwarz verkrustet und blutet heftig aus einer Wunde am Ohr. Ein strenger Schwefelgeruch umweht den Versehrten. „Was haben denn Sie gemacht?“, fragt der Fahrer. Dreimal dürfe er raten, was so einer gemacht habe, zwei Wochen vor Silvester, blafft Frau Reithofer, die ihm einschärft, ihren Mann auch wirklich ins Schwabinger Krankenhaus zu fahren und nicht zum Stammtisch oder sonstwohin.
Er habe, erklärt Herr Reithofer, bloß dem kleinen Fritzi aus dem dritten Stock, den er beim Hantieren mit Knallkörpern im Keller erwischt habe, zeigen wollen, wie man einen Kanonenschlag zu einer anständigen Rohrbombe umbaut; dabei sei er mit der Handsäge abgerutscht, worauf ihm die Zigarette in die Tüte mit den Knallfröschen und Schwirrkreiseln gefallen sei.
„Ojemine!“, sagt der Taxifahrer. „Das Malheur kann ich mir vorstellen!“ Gar nichts könne er, brummt Herr Reithofer. Es sei praktisch kaum was passiert. Ein bisschen ein Remmidemmi habe es halt gegeben. Dann aber sei der alte Hammler in den Keller heruntergerumpelt gekommen und habe gebrüllt, was da los sei, weil er vor lauter Rauch natürlich nichts sehen konnte. Er selber sei mit dem Fritzi durch eine Luke in den Heizkeller geklettert, wo sich ein großer Öltank befinde, auf den man bäuchlings gekrochen sei, um abzuwarten, bis der Hammler sich endlich wieder verziehe.
Habe der aber nicht getan, sondern den Herd des Lärms inspiziert und dabei abfällige Bemerkungen fallen lassen. Ob man hier vielleicht im Irrenhaus lebe, habe er gebrüllt; man könne doch nicht einen Kanonenschlag zur Rohrbombe umbauen, ohne ihn mit einer gezwirbelten Lunte zu versehen; das sei ja unverantwortlich.
Man sei etwas in Streit geraten und habe beschlossen, beide Varianten einem Realtest zu unterziehen. Bei der ersten Testsprengung (ohne Zwirbellunte) habe es ihm die sechs Pfund Lebkuchen, die er als Dämmfülle genommen habe, gleich dermaßen um die Ohren gehauen, dass er gar nichts mehr gesehen habe.
Das Zeug sei wohl zu hart gewesen, weil die Tante Agathe wie immer bloß die Überbleibsel von vor zwei Jahren auf ihren Nikolausbesuch mitgebracht habe. Am besten hätte er die Tante Agathe selber als Dämmfülle nehmen sollen, aber die sei nach dem zweiten Advent endlich doch noch abgereist.
Zu allem Überfluss sei er vornherum mit Heizöl getränkt gewesen, weshalb seine Kleidung in einen Schwelbrand geriet. Da habe er sich in den Sandkasten im Hof retten müssen. Seine dortigen Wälzvorgänge habe der Stiefvater vom Fritzi mitbekommen, der aus irgendeinem unerklärlichen Grund fuchsteufelswild gewesen sei und ihm eine Blechschaufel auf den Kopf gehauen habe. Das Eintreffen der Polizei habe er nicht mehr abgewartet.
Ob er seine Versuche an Silvester fortzusetzen gedenke, fragt der Fahrer. Er sei wohl wahnsinnig, entgegnet Herr Reithofer. Das sei in dem allgemeinen Rambazamba von herumfliegenden Raketen und besoffenen Böllerschützen viel zu gefährlich. Und außerdem bekomme sein Meisterwerk da sowieso keiner mit.