schwabinger krawall: der sprachwächter von MICHAEL SAILER :
Das Anliegen des älteren Herrn, der mit energischem Schwung seines Regenschirms die Buchhandlung Hilwek und Schide betreten hat, ist ungewöhnlich: Er habe zum Geburtstag ein Buch geschenkt bekommen, das er hiermit zurückgebe, weil es erstens schlecht sei.
Der so genannte Roman enthalte nur Geschwafel über nichtige Befindlichkeiten, das er nicht in seiner Wohnung aufzubewahren gedenke, weil er für derlei keine Verwendung habe. Er könne doch, meint die Buchhändlerin, nachdem sie das Buch betrachtet hat – der Buchrücken weist einen Winkel von 45 Grad auf, der Rand fast jeder Seite ist mit Anmerkungen wie „Unfug!“ und „Wozu wird so etwas niedergeschrieben!“ versehen –, ein Buch in einem solchen Zustand nicht zurückgeben. Das könne man ja guten Gewissens niemandem mehr verkaufen. Solle man auch nicht, sagt der ältere Herr. Deshalb gebe er es ja hier und heute zurück.
Im Übrigen, fuhr der ältere Herr fort, sei das Buch sowieso fehlerhaft und müsse aus dem Verkehr gezogen werden. Es stehe da allüberall „oder“ statt „und“, „hätte“ statt „habe“, „habe“ statt „hätte, „sei“ statt „wäre“, „wäre“ statt „sei“ und so fort … – der Verfasser habe offenbar vom deutschen Konjunktiv nie etwas gehört, zu schweigen von Bindestrich und Komma, und auch sonst in der Grundschule nicht viel mitbekommen. Er wolle den Verkaufspreis zurückerstattet haben, um ihn mit dem vorausgesetzten Einverständnis des Schenkers einer sinnvolleren Verwendung zuzuführen.
Ob er das Buch vielleicht gegen ein anderes umtauschen wolle, schlägt die Buchhändlerin vor. Nach einigem Zögern sagt der ältere Herr „Hm!“, nähert sich einem Regal, zieht einen Band heraus und schlägt ihn auf. „‚Er sah aus‘“, liest er vor, „‚als habe er‘ … – da geht das ja schon wieder los! Auch dieses Buch gebe ich zurück!“ Den Hinweis, er habe es noch gar nicht erworben, wischt er mit einer Handbewegung beiseite, knallt den Band auf den Verkaufstresen, sagt: „Remittieren!“, und unterzieht unter Zuhilfenahme einer Leiter den Warenbestand einer weiteren Inspektion. „‚Er sagte, er wäre!‘ – ‚Das Geräusch jeden Schritts!‘ – ‚Es war, als wenn!‘ – ‚Sie versicherte, dass ihm das gut stehen würde!‘ – ‚entgegen ihrer Ansichten!‘ – Da wird doch der Hund in der Pfanne verrückt!“
Einer Kundin, die sich der Kasse nähert, stellt er sich mit einem lauten „Moment!“ in den Weg und nimmt ihr das Buch aus der Hand: „Da! und da! und da: auch dieses Produkt ist fehlerhaft.“ Vorsichtig über den Bücherberg steigend, den er in der Mitte der Buchhandlung aufgehäuft hat, bittet er die mit entsetztem Blick dabeistehende Buchhändlerin, schon mal eine große Kiste bereitzustellen.
Der Pizzabote, wird man später sagen, habe sich nicht viel dabei gedacht, als er in diesem Moment den Buchladen betreten und gerufen hat: „Ich hätte hier zweimal Quattro Stagioni!“, um nach einem kurzen Innehalten hinzuzufügen, das sehe ja aus, „als wenn der Blitz eingeschlagen hat“. Umso mehr Zeit zum Nachdenken bleibt ihm hinterher, während er im Schwabinger Krankenhaus, wo man kaum glauben wollte, dass derartige Verletzungen von einem einfachen Regenschirm herrühren, ebendiese auskuriert.