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Archiv-Artikel

scheiterhaufenmusik oder: wo ich schon überall wohnte von FANNY MÜLLER

Die erste Wohnung, die ich in Hamburg hatte, war eine Dienstwohnung, im Grunde aber nur ein Zimmerchen im Hotel Reichshof, wo ich damals arbeitete. Diese kleinen Räume in der fünften Etage waren eigentlich nur für die Zimmermädchen gedacht, und ich zog dann auch ziemlich schnell aus, weil die Hausdame morgens an den Türen horchte, und wenn sie das Geräusch eines Rasierapparats hörte, der betreffenden jungen Dame gleich kündigte. Junge Damen pflegten sich damals noch nicht unter den Achseln und Gott weiß wo zu rasieren.

Die Hotelgäste konnten sich allerdings Männer noch und noch aufs Zimmer holen. Das heißt, damals waren es eher Frauen noch und noch. Die Gleichberechtigung der Frau hat ja dazu geführt, dass frau sich heute auch so genannte Callboys aufs Zimmer bestellen kann, was nicht unbedingt das Ziel der Emanzipationsbewegung gewesen sein soll.

Meine zweite Wohnung befand sich nicht weit von meinem Arbeitsplatz entfernt in der Rosenstraße gegenüber vom Hauptbahnhof. Da gingen abenteuerliche Gestalten ein und aus. Unter anderem hausten in der Wohnung unter mir Satans Kinder, welche die ganze Nacht Scheiterhaufenmusik spielten. Wenn ich zu laut auf den Boden klopfte, hatte ich immer Angst, dass die mich opferten, und wechselte abermals die Bleibe.

Die nächste war aber auch nicht viel besser, da kam ich vom Teufel zum Beelzebub: zu einem Zahnarzt in Harvestehude. In der damaligen Zeit besaßen Zahnärzte nämlich noch keine Prachtvillen und Segelboote und Latifundien in der Ostzone, jedenfalls musste er die riesige Wohnung untervermieten.

Ich hatte das frühere Mädchenzimmer, also winzig mit einem Fenster zur pechschwarzen Wand des Nachbarhauses , dann waren da noch zwei ältliche Damen, die zwei große Zimmer bewohnten und der Zahnarzt und seine Frau, die übrigens sehr schlechte Zähne hatte.

Der Zahnarzt hatte ein ausgeklügeltes System, damit niemand einbrechen konnte. Jede von uns hatte eine Karte, die an einem Brett befestigt werden musste, wenn wir die Wohnung verließen; wenn wir zurückkamen, mussten wir sie abnehmen und in einen Kasten legen. So hatte er immer den Überblick, wer gerade da war und wer nicht. Sein System erinnerte mich unangenehm an etwas schon längst Vergangenes und ich zog wieder aus. Dann heiratete ich, war aber nach anderthalb Jahren wieder auf dem freien Wohnungsmarkt anzutreffen.

Da war es schon die Zeit der Wohngemeinschaften. Ich zog mit zwei Männern zusammen, und die alte Kioskfrau von gegenüber fragte mich immer entzückt-entsetzt, wenn ich meine Zigaretten holte: „Na – wie läuft das denn mit Ihre zwei Männers?“ – „Achgott“, erwiderte ich, „mal ist der eine dran, mal der andere.“ – „Bein BDM waras auch nicht anners“, sagte sie träumerisch und legte mir noch für umsonst ein Feuerzeug dazu.

Die beiden Jungs hatten wechselnde Freundinnen, die auch nicht viel vom Saubermachen hielten. Ich zog wieder um und in eine eigene kleine Wohnung, in der ich heute noch bin. Da kann ich so viel Scheiterhaufenmusik hören, wie ich will. Meistens möchte ich aber nicht.