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Archiv-Artikel

schau mir auf die jeburtsurkunde, kleines! von REINHARD KRAUSE

Neulich auf dem Amt, Meldestelle. Alle Papiere dabei: Personalausweis, Abmeldebestätigung aus der anderen Stadt, Unterschrift des Vermieters. Sogar die Meldefrist von einer Woche hatte ich gerade so eben noch eingehalten, das habe ich bislang noch nie geschafft. Sonst musste ich mir immer anhören: „Herr Krause, Herr Krause, wer seiner Meldepflicht nicht innerhalb einer Woche nachkommt, begeht eine Ordnungswidrigkeit. Denken Sie beim nächsten Mal daran.“

Trotzdem hatte ich ein mulmiges Gefühl beim Warten. Irgendwas zum Meckern finden die doch immer. Selbst wenn die sich jetzt Bürgerbüro nennen, sind das immer noch Beamte.

Ausdruckslos schaute die Dame auf die vorbereiteten Papiere. „Jeburtsurkunde ham Se nich mitjebracht?“ – „Bitte?“ – „Jeburtsurkunde. Mitjebracht?“ – „Nee, hab ick nüsch.“ Vor Beklemmung fing ich doch glatt an zu berlinern, wie peinlich. Atem stob durch die Beamtinnennüstern. Da hatte sie nun gefunden, wonach sie suchte: einen Grund zum Aufschnauben. Wer rechnet denn auch mit so was: Jeburtsurkunde? Routiniert und immer noch toten Blickes tippte die Bürgerbeamtin inzwischen irgendwelche Daten von meinem Personalausweis ab. Alles schien wie am Schnürchen zu laufen, doch die Sache mit der Jeburtsurkunde hing noch wie ein Schauerwölkchen im Büro.

„Einmal zurück an Sie.“ Mein Ausweis wurde über den Tisch geschoben, dann die Meldebestätigung. Das lief ja tatsächlich alles ganz glatt!

Zu glatt. Eine meiner Pobacken schwebte schon in der Luft, da kam es doch noch: „Aber denken Sie dran, wenn Se det nächste Mal zu uns kommen und ’n neuen Ausweis beantragen oder sonst was: Sie müssen unbedingt die Jeburtsurkunde mitbringen. Schön’ Tach noch.“

Und tschüß. Schnell raus hier. Draußen erst regte ich mich richtig auf. Da lassen die sich alle fünf Jahre einen neuen, jedes Mal angeblich nun wirklich fälschungssicheren Ausweis einfallen. Der neueste feuchte Traum aller Innenminister soll ein Ausweis mit allen möglichen biometrischen Angaben werden, mit eingescannter Iris und so. Ich meine, wie werden in künftigen Generationen die Historiker jubeln, weil sie in enger Zusammenarbeit mit Heilpraktikern anhand der angehäuften erkennungsdienstlichen Unterlagen sämtliche endemischen Befunde über das Leben im 21. Jahrhundert erheben können?

Und was wollen die Bürgerbeamten sehen, weil ohne „nüscht looft“? Eine popelige Jeburtsurkunde, in meinem Fall einen Wisch aus den frühen Sechzigern, ein Formular, das man mit einem Scanner und etwas Übung im Kartoffeldruck mühelos zusammenbasteln kann.

Sind die noch ganz richtig im Kopf? Meinen die tatsächlich, sie könnten mit diesen Dokumenten aus der erkennungsdienstlichen Steinzeit übelmeinende Terroristen dingfest setzen?

Vielleicht aber ist es ja auch ganz anders. Vielleicht wurde das mit der vorsintflutlichen Jeburtsurkunde ja von den Menschen in den Bürgerbüros ausbaldowert, um den Bürgersinn zu retten. Ich meine, immerhin gibt es wohl keinen Staat auf der Welt, der so viel Stolz entwickelt hat, jemand wie Oskar Schindler hervorgebracht zu haben.