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Archiv-Artikel

roche, kritik etc. Männliche Wunschlektüren

„Quod licet Iovi, non licet bovi“ – was Jupiter darf, darf der Ochse noch lange nicht. Kaum hat also Ingeborg Harms in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Charlotte Roches Bestseller „Feuchtgebiete“ gewagt, treten Lothar Müller in der Süddeutschen Zeitung und Hubertus Spiegel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung auf den Plan und sagen, so geht das nicht. Alles Quatsch, was da behauptet wird. Schließlich seien die „Feuchtgebiete“ nicht weiter der Rede wert – wären da nicht die innerhalb von vier Wochen verkauften 400.000 Exemplare. Diesen Wahnsinn zu deuten, bedarf es aber der Leithammel, oder – da wir wissen, dass Literatur- und Kulturkritik auch nur ein Untergebiet der Theologie ist – besser des guten Hirten. Die Schafe jedenfalls haben hier nichts zu melden.

Das stärkste Geschütz nun, das Lothar Müller gegen Charlotte Roches unsaubere Heldin Helen auffährt, ist die Nichtigkeit ihrer Existenz. Schließlich gibt es sie nur, weil Heidi Klum so adrett ist. Da dieses Prachtweib nun Lothar Müller nicht auf den Keks geht, macht sich jeder lächerlich, dem es anders ergeht und den sie nervt. Auch ein Argument. Stammte es von Elke Heidenreich, dem lebenden Gegenbeweis zur Fiktion von der kulturellen Deutungshoheit des männerdominierten Tageszeitungsfeuilletons, der Müller und Spiegel anhängen, müsste man es womöglich in Erwägung ziehen.

Auch Hubertus Spiegel bieten die „Feuchtgebiete“ nichts Neues. Helen ist nur eine andere Art von Bulimikerin und der Roman ein Traktat des altbekannten, hässlichen Feminismus im neuen postfeministischen Schlauch. Anders als Ingeborg Harms meint, grüßt Mutter Natur doch wieder in Charlotte Roches Revolte gegen den zwanghaft perfektionierten weiblichen Körper. Damit wird Bret Easton Ellis zu Spiegels Gewährsmann. Denn Ellis weiß um die grundsätzliche Künstlichkeit der Welt. Dafür hat Spiegel „American Psycho“ offenbar in einer nur ihm zugänglichen B-Version gelesen. In dieser Version ist Patrick Bateman nun jede narzisstische Selbstbessenheit fremd. Stattdessen bewegt er sich „in der traditionell männlichen Domäne zwischen laxer Hygiene und forcierter Unsauberkeit“, die Lothar Müller in der SZ gegen die plumpe Nachahmerin Helen hochhält. Bateman geht also nie ins Fitnessstudio, macht kein Bodybuilding und bewundert auch niemals seine wohldefinierten Muskeln. Er bringt in dieser B-Version auch nicht ständig irgendwelche Leute um, sonst müsste Hubertus Spiegel dem Autor ja den Vorwurf machen, sein Held wäre eben nur der altbekannte Serienkiller, wie er die Literatur des 20. Jahrhunderts bis zum Erbrechen bevölkert. Vernachlässigbar, weil sich seine mörderische Wut in der geheimen B-Version eh nur gegen den weiblichen Körper richtet, in einer „mörderischen Pathologie des Misogynenen“. Aufschlussreich ist Hubertus Spiegels Wunschlektüre schon. Aber nicht weiter erwägenswert. Sie stammt ja nicht von Elke Heidenreich. BRIGITTE WERNEBURG