: "Zwangsberatung" für Langzeitstudis
■ Am Otto-Suhr-Institut sollen Langzeitstudierende durch Beratungsgespräche zum Abschluß motiviert werden / Nur geringe Bereitaschaft der Lehrenden, bei der Aktion "Pro Examen" mitzumachen
„Pro Examen – Initiative für Langzeitstudierende“ ist der wohlklingende Titel einer Aktion, die seit Anfang Dezember am Fachbereich Politische Wissenschaft der FU läuft. Ziel der Initiatoren, der Politologie-Professoren Klaus Megerle und Peter Grottian, ist es, knapp 1.000 StudentInnen des Otto-Suhr-Instituts (OSI) auf die Sprünge zu helfen. Gemeint sind Studierende, die nach 14 Semestern den angestrebten Abschluß noch nicht erreicht haben.
Bei einigen OSI-StudentInnen ist die Initiative allerdings nicht auf Gegenliebe gestoßen. Für sie stellt die Aktion eine vorauseilende Maßnahme im Sinne der Politik von Wissenschaftssenator Erhardt (CDU) dar. Die Anfang Dezember verabschiedete Änderung des Berliner Hochschulgesetzes sieht unter anderem die Einführung von Regelstudienzeiten und mögliche Exmatrikulationen vor, sofern Studis an Zwangsberatungen nicht teilnehmen.
Per Rundschreiben sind die Langzeitstudis des OSI bereits Anfang Dezember „herzlich – aber auch nachdrücklich“ zu einem Beratungsgespräch eingeladen worden. „Nachdrücklich“ ist die Einladung im wahrsten Sinne des Wortes: Das Schreiben von Klaus Megerle, der Anfang dieser Woche verstorben ist, wies in einem eigens dafür eingerichteten Absatz darauf hin, daß der Fachbereichsrat mit dem Immatrikulationsbüro vereinbart habe, den Rückmeldeantrag der Studis zum kommenden Sommersemester erst zu bearbeiten, wenn die Bescheinigung über das Beratungsgespräch vorliegt.
Gerade diese Formulierung stößt bei den StudentInnen auf Unwillen. Für sie heißt das Zwangsberatung. Die „Zwangsberatung“ hat sich indes als Finte entpuppt: Zwar gibt es tatsächlich eine Absprache des Fachbereichs mit dem Immatrikulationsbüro, der fehlt es aber zumindest für das kommende Semester noch an einer rechtlichen Grundlage.
In einem offenen Brief an Peter Grottian kritisiert der Student Thomas Birk den Versuch, die Studis mit einem Schuljungentrick hinters Licht führen zu wollen. Aus Sicht der StudentInnen wird damit der möglichen Kooperation von Studierenden und Professoren eine Absage erteilt. Anstatt Langzeitstudis mit Hinblick auf in naher Zukunft eventuell stattfindende, reale Zwangsberatungen zu motivieren und damit machbare Einzelhilfe anzubieten, habe sich der Fachbereich politisch auf Linie gebracht.
Der verstorbene Klaus Megerle hielt die Drohung mit der „ungedeckten“ Rückmeldung für legitim. Schließlich habe der Fachbereich nie beabsichtigt, Studenten zu exmatrikulieren. Vielmehr sollten dadurch möglichst viele Studierende erreicht werden. Die Ergebnisse sollen „flächendeckend“ sein und ausgewertet werden. Nach Megerles Ausführungen deutete sich an, daß das Problem der Langzeitstudierenden zweischneidig sei: Einerseits gibt es Studis, die durch finanzielle Nöte und persönliche Probleme nicht kontinuierlich studieren konnten, andererseits eine Reihe von Leuten, die immatrikuliert sind, um lästige Sozialabgaben einzusparen. Und so halte sich auch der studentische Protest gegen die Initiative in Grenzen: „Einige fühlen sich von dem Schreiben aufgerüttelt und bedanken sich für den Anstoß.“
Eine Studentin im 19. Semester beschreibt hingegen in der Zeitung des Fachschaftstreffens am OSI, wie sie den „Beratern“ über ihre aus eigener Sicht „mißlungene Ausbildungskarriere“ gebeichtet hat. Schnell habe sie den Rat bekommen, doch abzubrechen. Erst auf ihr „Nachbohren“ hin habe man ihr konkrete Tips gegeben.
Der bürokratische Charakter der Beratung liegt an der knapp bemessenen Zeit des Gespräches. Bis zu fünf StudentInnen müssen sich eine Stunde teilen. Immerhin hatte sich Megerle in einem internen Schreiben bei den KollegInnen für die beachtliche Resonanz auf die Initiative bedankt: Ganze 30 von 229 Lehrenden am OSI hatten sich bereit gefunden, Beratungsgespräche durchzuführen. Ralf Knüfer
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