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"Wahnsinn"

■ betr.: "Das kann nur Gott sein oder die CIA", Interview mit Dr. Linden, taz vom 24.10.90

betr.: „Das kann nur Gott sein oder die CIA“, Interview mit Dr.Linden, taz vom 24.10.90

Die Auseinandersetzung mit Menschen, deren Erlebnis- und Wahrnehmungsweisen von der allgemein anerkannten und durchgesetzten Norm abweichen, erfordert immer auch eine Infragestellung dessen, was als normal gilt. Andernfalls beteiligt sich mensch an der Verfolgung Psychiatrisierter und anderer sogenannten Anormaler. Indem von Seiten der taz Fragen nach der Prävention von sogenannten Psychosen gestellt werden, drängt sich jedoch der Verdacht auf, daß die taz sich den Sorgen des präventiven Sicherheitsstaates anzuschließen gedenkt. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, warum angesichts des durchaus begrüßenswerten Interesses an dem Thema des „Wahnsinns“ nicht jene befragt werden, die die Hölle der sogenannten Psychose durchlebt haben und selbst psychiatrisiert wurden, sondern ausgerechnet ein Vertreter der Personengruppe zu Wort kommt, die sich an der Kategorisierung, Stigmatisierung und Isolierung der als Anormal eingestuften beteiligt?

Zu den Inhalten des Dr.Linden: Die Psychiatrien der BRD sind kein „Schlußlicht“ — wovon denn? Die Psychiatrien, ebenso wie das Knastsystem, aber auch all die Behinderten-, Alten- und Flüchtlings(ab)sonderungsanstalten sind zentrale Bestandteile der staatlichen Disziplinierungs- und Isolierungspolitik gegenüber Menschen, die der herrschenden Arbeitsnorm, Kultur, Ästhetik und/oder dem herrschenden Denken nicht entsprechen können und/oder wollen, um sie von wesentlichen gesellschaftlichen Lebens- und „Freiheits“bereichen wegzuschließen und in diesen Absonderungszonen zum Teil zu erziehen. [...]

Heilung im utopischen Sinne hat nichts mit chemischen Gehirnamputationen, gummibehandschuhten Blutkontrollen und der reflexprüfenden Behandlung ans Bett gefesselter Menschen, die Todesängste durchleben, zu tun. Heilung wäre eine befreite Gesellschaft, sie wäre die menschliche Handlung einer Umarmung, die Fähigkeit zur Zuneigung, die Zärtlichkeit, die zwischen Menschen möglich sein könnte; diese Reaktionen sind der technokratischen patriarchal kapitalisierten Medizin und ihrer weißen Überwachungsplastikhygienewelt hinter Panzerglas und Beton fremd; ebenso fremd, wie die Vorstellung von einer Gesellschaft, in der es normal ist, daß Menschen mit uns zusammenleben, die Stimmen hören, die Angst haben, die zittern, die sehen, was andere nicht sehen, die auch mal schweigen und deren Erlebnisweisen nicht dem therapeutischen Aktivismus entsprechend als Defizite aufgefaßt werden, die — unter Umständen zwangsweise — „behoben“ und weggesperrt werden müssen, sondern als eine Möglichkeit menschlicher Erfahrungsweisen gelten.

Eine solche Utopie ist allerdings weit davon entfernt von der jahrhunderte währenden Realität der Verfolgung und zum Teil Vernichtung jener, die den herrschenden Normen nicht entsprechen.

Erinnert sei an die Verfolgung, Folterung und Ermordung von Frauen als Hexen durch die Inquisition, die mit dem Aufbau des polizeistaatlichen Überwachungsapparates der Neuzeit unter anderem die Grundlagen für die inquisitorische Gedanken- und Verhaltenskontrolle der modernen psychiatrischen Institutionen schuf.

Erinnert sei an die faschistischen Zwangssterilisierungsprogramme und Massenvernichtungen von sogenannten Untermenschen (JüdInnen, Roma und Sinti, Psychiatrisierte, „Behinderte“, KommunistInnen, Homosexuelle, „Asoziale“...).

Erinnert sei an den Aufbau von humangenetischen Beratungsstellen, an die „Erforschung“ des menschlichen Genoms und die Suche unter anderem nach dem „schizophrenen Gen“, an menschenverachtende Kosten-Nutzen-Kalkulationen, in denen die präventive Abschaffung von Menschen, die der herrschenden (Arbeits-)Norm nicht entsprechen, als Ballastexistenzen und angeblich lebensunwert geplant wird. Donna Quichotta, Straße der Irrenden

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