■ Die anderen: "Milliyet", "Hürriyet", "Sabbah" zum Erdbeben in der Türkei
Die Tageszeitung „Milliyet“ (Istanbul) über das Chaos nach dem Erdbeben in der Türkei: Schuld ist nicht das Erdbeben, schuld sind diejenigen Bauunternehmer und Behörden, die die Bevölkerung verkauft und verraten haben. Die aus Deutschland gesandten 2.500 Zelte sind am türkischen Zoll hängengeblieben. Das Feuer in der größten Raffinerie des Landes ist verharmlost worden. Als die Brände auf Grund der Folgeexplosionen zunahmen, flohen die Löschzüge. Der Bauunternehmer Göcer, der in der Gegend billige Häuser gebaut hatte, ist untergetaucht. Über 90 Prozent seiner Häuser sind zusammengebrochen. Im Hilfsfonds der Erdbebenkatastrophe befinden sich lediglich 1 Million Lire (4 DM). Der Staat ist total gelähmt und selbst hilflos. Er schaut dabei immer noch tatenlos zu, wie die Seuchengefahr wächst. Für ausländische Helfer werden nicht einmal Dolmetscher zur Verfügung gestellt.
„Hürriyet“ meint unter der Überschrift „Der Frack unseres Gewissens“: Das Jahrhunderterdbeben hat auch die Menschengeografie der Nation aufgedeckt: die der Landflucht, die das Verschwinden der ethnischen Mauern belegt. Nun erklärt diese Nation die Generalmobilmachung, ohne auf ihre Regierung zu warten. Alle helfen mit bloßen Händen, hören die Hilfeschreie aus den Betonsärgen. Wir fragen voller Zorn: Wo ist denn dieser Staat? Wohin sollen sich die Menschen wenden, die Blut spenden wollen? Es wird nichts organisiert. Vielleicht ist dieser Staat auf die Bekämpfung der gefährlichen Banden und der stärksten Feindesarmeen bestens vorbereitet. Aber ihm fehlt es an einem Katastrophenmanagementplan. Der Staat selbst ist geschockt.
Die Boulevardzeitung „Sabbah“ schreibt: Jeden Tag erhöht sich die Zahl der Toten. Es wird befürchtet, dass sie auf 10.000 steigt. Die betroffenen Städte Adapazari, Izimit, Bolu, Yalova haben begonnen, alle Unternehmer, die am Bau zusammengebrochener Häusern beteiligt waren, aufzulisten. Gegen diese werden anschließend Verfahren eingeleitet, es drohen Gefängnisstrafen bis zu 10 Jahren. Alle zuständigen Staatsanwälte haben bereits Ermittlungsverfahren gegen die Bauunternehmer angekündigt.
„Milliyet“ bedankt sich ausdrücklich bei „Bild“: Freunde in Deutschland teilen euer Leiden: Die „Bild“-Zeitung hat auf ihrer ersten Seite auf Türkisch den in Deutschland lebenden Türken ihr Beileid zum Ausdruck gebracht. Danke schön, „Bild“.
(aus dem Türkischen von Bülent Tulay)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen