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"Liebe taz..." Grausame Behandlung

Sehr geehrter Herr Senator,

ich habe Ihnen gegenüber Klage zu führen über die grausame und entwürdigende Behandlung meines 17jährigen Patienten, eines afrikanischen Jugendlichen aus Guinea-Konakry. Dieser wurde am 5.6.96 von Polizeibeamten der Wache am Hauptbahnhof gezwungen, ein stark wirkendes Brechmittel zu nehmen.

Es kam zunächst zu blutigem Erbrechen, später und noch am Folgetag zu Bauchkrämpfen und Durchfällen. Am 7.6.96 ergab eine Blutuntersuchung erhöhte Werte der Leber- und Bauchspeicheldrüsenenzyme als Ausdruck einer entzündlichen Reizung. Die Bauchdecken sind noch nach zwei Tagen hartgespannt und hochgradig druckempfindlich, die Verordnung von krampf- und schmerzlindernden Medikamenten ist notwendig.

Mein Patient ist kein Drogendealer, sondern ein zurückhaltender, eher schüchtern wirkender Jugendlicher, der auch in seiner Persönlichkeit stark verletzt wurde. Hinter seiner zögernd vorgetragenden Schilderung der Ereignisse nehme ich Hilflosigkeit, Panik und fassungsloses Entsetzen wahr. Er ist nicht in der Lage, das Geschehene angemessen zu verarbeiten. Dieser Brief, zu dem mich mein Patient ausdrücklich autorisiert hat, ist ein Teil meiner Bemühungen, ihm im Verarbeitungsprozeß beizustehen. Selbstverständlich wurden bei meinem Patienten keine Drogen gefunden. Trotzdem hat niemand es für nötig gefunden, sich bei ihm für den Übergriff zu entschuldigen. Ich bin entsetzt, mit welcher Selbstverständlichkeit die gefährliche Brechmittelvergabe auch bei einem Jugendlichen angewendet wird. Als Arzt und Bremer Bürger bitte ich Sie dringend, derartige Praktiken in Ihrem Amtsbereich zu unterbinden. Den mögliche Nutzen scheint mir die Verletzung der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenwürde in gar keinem Fall zu rechtfertigen. Schon gar nicht bei einem unausgereiften Jugendlichen. Ich danke für Ihr Verständnis.

Hans-Joachim Streicher

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