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Die Anderen"Le Monde" und "New York Times" über die Rußlandkrise

■ "Daily Telegraph" über das Treffen Clinton/Jelzin

„Le Monde“ aus Paris fragt, ob die Rußlandkrise Kohl nützt: Kann die russische Krise Helmut Kohl vier Wochen vor den Wahlen retten? Der Kanzler, der in den Umfragen als geschlagen gilt, hat es nicht geschafft, aus seiner staatsmännischen Statur Profit zu ziehen. Bis jetzt ging der Streit ausschließlich um die Innenpolitik, und die Deutschen haben drei Hauptsorgen: den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit, die Rettung ihres großzügigen Systems der sozialen Absicherung und den erfolgreichen Wiederaufbau der früheren DDR. Mit der Verschärfung der politischen Krise in Rußland und dem Sturz der Finanzmärkte kehrt die Außenpolitik auf die innenpolitische Bühne zurück. Die Angst vor „dem Russen“ ist jenseits des Rheins tief im allgemeinen Bewußtsein verwurzelt. Könnten also die Deutschen für die Sicherheit stimmen und ihrem „großen Europäer“ den Vorzug vor Schröder geben, dem es nach allgemeiner Ansicht an außenpolitischer Glaubwürdigkeit fehlt?

Der „Daily Telegraph“ erwartet vom Treffen Clintons mit Jelzin nicht viel: Der Wert des Besuches liegt darin, daß er dem US-Präsidenten die Bühne für eine Rede an das russische Volk gibt. Der Ton der Botschaft wird dabei ebenso wichtig sein wie der Inhalt. Clinton sollte den Russen versichern, daß der Westen ihnen nicht den Rücken kehrt. Die mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarte Summe von 22,6 Milliarden Dollar bleibe verfügbar, wenn Reformen neuen Anstoß erhalten. Die Welt hat großes Interesse daran, eine Atommacht nicht in rasende Inflation und Revanchismus abgleiten zu lassen. Mit Bedingungen für künftige Hilfe verknüpft, sollte Clinton Vertrauen in die Vernunft der russischen Bevölkerung zeigen. Er betritt ein politisches Vakuum und könnte sogar das Zünglein an der Waage in Richtung politischer Reformen sein. Die Umstände seiner Visite sind außergewöhnlich, sie könnte aber zu einer seiner wichtigsten werden.

Die „New York Times“ sieht die Gefahr, daß Rußland auseinanderfallen könnte: Die hastig zustande gekommene Vereinbarung Boris Jelzins mit den Kommunisten am vergangenen Wochenende war beunruhigend, aber der plötzliche Zusammenbruch ihres Handels am Sonntag abend könnte sich sogar als noch schlimmer erweisen. Seine erste negative Auswirkung war gestern die parlamentarische Niederlage für Jelzins Ministerpräsidenten-Kandidaten Wiktor Tschernomyrdin. Rußland ist ohne Regierung zu einem Zeitpunkt, da aktives Handeln dringend gebraucht wird, um den schwindelerregenden freien Fall des Landes im Finanzbereich unter Kontrolle zu bringen. Ein andauerndes Machtvakuum in Moskau könnte die geographisch weit ausgedehnte russische Republik zersplittern.

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