: "Ich bin Franzose"
■ Joey Starr von Nique ta mere über die Verurteilung der französischen Rap-Gruppe wegen Polizistenbeleidigung
taz: Hat das harte Urteil von Toulon – sechs Monate Gefängnis und sechs Monate Berufsverbot – Sie überrascht?
Joey Starr: Klar. Total. Allerdings hatten wir in dem Département Var, wo das passiert ist, ja schon mehrfach Auftrittsverbote. Aber trotzdem hatten wir allenfalls mit einer symbolischen Strafe gerechnet. Ein Franc oder so.
Können Sie die Polizisten verstehen, die geklagt haben?
Ich bin doch nicht dazu da, die zu verstehen. Bei diesem ganzen Unwohlsein ist es deren Sache, uns zu verstehen. Die Flucherei auf dem Konzert war doch nichts anderes als der Ausdruck von „Wir haben die Schnauze voll“.
Einzelne Polizisten, die bei dem Konzert am 14. Juli 1995 Dienst hatten, sagen, daß sie richtig Angst hatten, als Tausende Menschen sie wütend anstarrten.
Ja, ja. Da flüchten sie sich jetzt rein. Das ist arrogant. Aber die sind doch bewaffnet. Nicht wir.
Sie und Kool Shen sind jetzt zu Sprechern der französischen Vorstädte geworden.
Das glaub' ich nicht. Das ist was anderes. In den Wochen vorher gab es Festivals und Bücher im Süden Frankreichs, die verboten worden sind. Diese Angriffe auf die Ausdrucksfreiheit sind ziemlich häufig geworden, und wir sind da eine Art Detonator geworden. Nach dem Urteil gegen uns hat die Regierung gezeigt, daß sie sich ein bißchen Sorgen macht um die Ausdrucksfreiheit.
Und dann haben sie beschlossen zu reagieren, weil wir bekannt sind. Aber wir sind nicht die Banlieue. Da gibt es schließlich nicht nur Rap. Das ist nicht nur der HipHop. Es gibt auch Studenten. Sportler. Das ganze Leben halt.
Gibt es in der Banlieue auch Leute, die Sie kritisieren?
Klar. Die finden uns ein wenig zu radikal. Oder sie fühlen sich nicht repräsentiert durch unsere Klamotten oder unsere Art zu reden. Durch das, was wir tun.
Finden die Ihre Musik hart, zu aggressiv?
Nein, nicht unbedingt. Wir erinnern sie an etwas, was sie eher vergessen wollen. Ich glaub', das ist der Grund. Die sagen, es gibt doch auch eine Menge positive Dinge in der Banlieue. Unsere Lieder, die eben nicht diese Wiedereingliederungsmaßnahmen für arbeitslose Jugendliche beschreiben, wecken bestimmte Ängste. Die wollen nicht, daß wir daran rühren.
Was muß denn in der Banlieue geschehen, um den Krieg dort zu beenden?
Wir können keine Lösungen bringen. Dazu kennen wir uns nicht gut genug aus. Wir können nur beschreiben, was wir um uns herum sehen. Von den Erfahrungen reden, die nicht geklappt haben. Die Banlieue ist doch das Auffangnetz für die ganze Scheiße von Frankreich geworden.
Macht die Regieung den ernsthaften Versuch, den Dialog mit der Banlieue zu führen?
Ich glaube nicht. Die haben bloß wahltaktische Überlegungen. Wenn so was bevorsteht, dann reden sie von der Banlieue.
Gehen Sie wählen?
Nein. Nie. Ich erfülle meine Pflicht als Citoyen, indem ich singe. Wenn das jeder tun würde, brauchten wir die Urnen vielleicht gar nicht.
Fühlen Sie Sich der Tradition der politischen Chansons in Frankreich verbunden. Leuten wie Boris Vian, Leo Ferre?
Nein. Überhaupt nicht. Leute, die tatsächlich politisch aktiv sind, die brauchen keine Musik als Vehikel. Die haben Ideen, die allein stark genug sind. Aber ich bin natürlich für politische Lieder, wenn die Musik intelligent ist. Aber wir sind nicht politisch engagiert. Wir beschreiben nur das Leben in der Banlieue.
Meinen Sie, daß Musik die Welt verändern kann?
Glaub' ich nicht. Lieder können Vorschläge machen. Verstehen helfen. Ändern – das ist so ein großes Wort.
Ihr Lied „Police“ wird jetzt als Aufruf zur Gewalt bezeichnet.
Das ist eine Verteufelung. Die sagen lieber, daß wir zur Gewalt aufrufen, als daß es wirklich dringend ist. Unsere Lieder beschreiben einen Notfall. Deswegen können sie gar nicht nett und sanft und harmlos sein und jedem gefallen. Es ist dringend. Das ist keine angenehme Situation.
Wie war die Reaktion anderer junger Musiker auf Ihre Verurteilung?
Es gab Leute, die solidarisch waren. Aber das interessiert uns gar nicht so. Wichtig ist, daß hier die Ausdrucksfreiheit angegriffen wird. Es ist natürlich gut zu wissen, daß eininge Leute hinter uns stehen.
Verteidigen Sie die Ausdrucksfreiheit auch für rechtsextreme und antisemitische Rockgruppen?
Leute, die Ideen vortragen, die man schon erlebt hat und wo man weiß, wohin das führt, die kann ich nicht unterstützen. Das ist vielleicht paradox. Aber mit Rechtsextremen kann ich nicht.
Es gibt konservative französische Spitzenpolitiker, die Ihnen in den vergangenen Tagen allen Ernstes vorgeschlagen haben, Sie sollten Frankreich verlassen. Was antworten Sie denen?
Die haben ein kurzes Gedächtnis. Frankreich hat überall kolonisiert. Man muß einfach akzeptieren, daß Frankreich ein kosmopolitisches Land ist. Das waren schließlich die, die uns geholt haben. Dazu muß man heute einfach stehen. Das hört sich vielleicht einfach an, aber ich denke es wirklich. In Frankreich gibt es jede Menge Ethnien. Solange das nützlich war, fanden das alle gut, und jetzt, wo die Leute ein wenig wach werden und nicht jeder Lust hat, sich anzupassen, sich zu integrieren, wird die Sache ungemütlich. Dabei müßte man das einfach akzeptieren. Das ist auch das Problem der Banlieue und der jungen Bullen.
Nennen Sie Sich einen Patrioten?
Ich? (lacht) Ach so?
Ja! Sie!
Ich bin Franzose. Ich habe einen französischen Ausweis. Aber sonst: Das ist mir völlig egal, ob ich Franzose bin. Interview: Dorothea Hahn, Paris
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