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"Eine richtige Story"

■ Klarer Fall, Schröder ist ein Medienphänomen. Die deutsche Politik-Soap - erklärt vom Medienwissenschaftler Gerd Hallenberger

Taz: Warum fahren die Medien so auf Gerhard Schröder ab?

Gerd Hallenberger: Schröder ist einfach eine Medienpersönlichkeit. Und er ist darin zu anderen Formen von Medienpersönlichkeiten kompatibel. Er repräsentiert körperlich einen bestimmten Typus von männlichen Prominenten, für den es in anderen Bereichen, insbesondere im Film, nahe Verwandte gibt. Schröder entspricht genau dem gutaussehenden dynamischen „Mann in den besten Jahren“. Neu ist, daß ein Politiker in hohem Maße mediengerecht ist, ohne die Medien im amerikanischen Sinne geschlossen zu funktionalisieren, daß er überhaupt die Medien weniger „benutzt“, als daß er in seiner Medienrepräsentation völlig aufgeht. Schröder und die Medien – da haben sich einfach zwei gefunden. Zum Teil ist es sein „Naturtalent“, zum Teil sind es biographische Zufälle, die ihm helfen.

Welche?

Ideal war seine Scheidung. Auf einmal ein Politiker mit einer privaten Geschichte, die zu normalen Fernsehgeschichten wunderar kompatibel ist. Serien wie die „Lindenstraße“ oder Soaps funktionieren als fiktionale Alltagsbegleitung. Sie bieten im Medium ein zweites Leben an, das das eigene virtuelle begleitet. Nun paßt da auf einmal ein Politiker, mit nahezu allen Elementen seiner Lebensgeschichte prima herein, zudem mit Themen, die auch für Daily Soaps und Familienserien im Fernsehen die Basisthemen sind: Wer bindet sich, findet sich, trennt sich?

Warum nützt das der Figur?

Zum einen ist da die Komponente Menschlichkeit. Das Privatleben von Politikern spielte immer schon in der öffentlichen, medialen Repräsentation eine begrenzte Rolle. Der Unterschied ist: Hier ist es nicht einfach ein Privatleben, das zu dem Gehalt einer politischen Figur additiv dazukommt. Hier ist es eine richtige Story. Die Story hat einen Verlauf. Sie hat somit ein Element von Fiktionalität, welches sie mit anderen Fiktionen verbindet. Vorher war Schröder vielleicht gerade der Typus des machtbewußten Politikers. Auf einmal kriegt er eine zusätzliche Dimension. Deren Ausgestaltung ist weniger wichtig. Wichtig ist: Das Bild der Person scheint vollständig zu werden.

Was sind denn die Voraussetzungen, daß es gerade bei Schröder so wirksam ist?

Der Hintergrund ist die Medialisierung von Politik. In dem Maße, in dem Medienangebote wichtiger werden, dehnen die von den Medien gesetzten Regeln, wie man einen Vorgang erzählt, ihre Gültigkeit auf alle anderen gesellschaftlichen Bereiche aus. So wird die mediale Repräsentation von Politik immer wichtiger. Um so mehr, als Kernbereiche von Politik nicht in den Rahmen einer auf Visualisierung angelegten Medienszene passen: Politik ist nicht zeigbar.

Nun gibt es ja die klassische Ikonographie mit roten Teppichen, Limousinen etc., die wir aus der „Tagesschau“ kennen. Andererseits konstatieren Sie nun die Verbindung mit ganz anderen Zeichen aus Daily Soaps usw., also aus der Entertainment-Welt. Findet somit ein Wandel im politischen Zeichensystem statt, so daß in der Repräsentation der Unterschied zwischen Politik und Entertainment verschwindet?

Das fing schon sehr früh an. Bis in die 70er Jahre sah man Politiker außerhalb ihres eigentlichen Tätigkeitsbereichs allenfalls in Diskussionen. Dann kam in den 70ern die Talkshow. Der erste Schritt von der professionellen Rolle zur gesamten Figur. Dazu kam ein deutlicher Zug in Unterhaltungskontexte beispielsweise, als Schröders Vorgänger Ernst Albrecht bei Hans Rosenthal mit Familie auftrat und zur Klampfe sang. Den vorläufigen Abschluß dieser Entwicklung markiert Schröders Auftritt im „Großen Bellheim“, wo Gerhard Schröder als Gerhard Schröder Rollenträger in einem Fernsehmehrteiler ist. Da ist die Identität von medialer Rolle und Person perfekt geworden.

Während anfangs die private Seite zu einem politischen Gehalt trat, ist es bei Gerhard Schröder so, daß die medialen Kontexte die Figur erst konstruieren?

Mit Sicherheit entscheidend ist, wie sich die Rolle der Politik verändert hat. Die Möglichkeiten, inhaltlich Politik zu machen, sind beschränkt. Ein Politiker darf nicht zunächst vermitteln, wie er innerhalb des engen Korsetts der politischen Spielräume zu handeln versucht. Er muß Erweiterbarkeit vermitteln. Da die Möglichen politisch kaum mehr erweiterbar scheinen, müssen andere Elemente her. Der prominente Politiker konkurriert heute zudem auf dem Markt des öffentlichen Interesses mit anderen Medienprominenten.

Wie wichtig sind die Geschichten, die medialisierte Politik produziert?

Im Fernsehen werden Geschichten immer wichtiger. Geschichten passieren nicht mehr nur im Fernsehspiel. Boxkämpfe werden zum Beispiel in eine scheinbare Geschichte integriert. Ebenso in der Politik: Schröder gegen Lafontaine ist eine schöne lange Geschichte. Mit der Medialisierung kommt auch ein leiser Zwang zur Fiktionalisierung. Politische Prozesse müssen daraufhin abgeklopft werden, ob sie als fiktional-kompatible Geschichte erzählbar sind. Die Steuerreform ist ein gutes Beispiel, wo es überhaupt nicht mehr um einzelne politische Punkte geht. Das Thema ist immer die Reform. Und die Reform ist ja selber wieder ein Story-Element, weil sie auf ein Vorher/Nachher verweist.

Was ist, wenn die Politik unmittelbar in das Leben eingreift. Können die Zuschauer da Zuschauer bleiben?

Die interessante Hypothese wäre, daß dieses schöne Modell einen Punkt nicht auf der Rechnung hat. Wenn das Publikum das Ganze durchaus interessant findet und seine Sympathien nach den Regeln medialisierter Politik verteilt – die Wahlentscheidung davon aber am Ende nicht abhängig macht. In Untersuchungen über die Rezeption von Unterhaltungssendungen hat man herausgefunden, daß es zumeist eine distanzierte und reflektierte Opposition dieser eigentlich simplen Unterhaltung gegenüber gibt. Die Gesamtsimulation der Medien spielt einerseits bei der Konstruktion eigener Lebenswirklichkeit eine sehr große Rolle. Andererseits wird sie in aller Regel nicht mit der eigenen Realität verwechselt.

Dann könnte es gerade ein Problem für Schröder werden, daß er in der Simulation weitgehend komplett aufzugehen scheint?

Es taucht ja sehr oft die Frage auf: Für welche Politik steht dieser Mann wirklich? Das läßt vermuten, daß solche Fragen auch tatsächlich oft gestellt werden.

Welche Position hat in dem Figurenangebot medialisierter Politik eigentlich Helmut Kohl?

Kohl ist insofern sehr schwierig, weil er eine stete Präsenz über fast schon 16 Jahre hat, also in ganz anderen Entwicklungsetappen der Medialisierung von Politik immer schon war. Beim Duell Schröder – Kohl ständen einerseits zwei Konzepte medialisierter Politik, andererseits zwei völlig unterschiedliche Assoziationsfelder gegeneinander. Das ist zunächst nichts Schröderspezifisches: Kohl steht für „Weiter so“, Schröder steht – wie jeder mögliche andere Gegenkandidat – für Wechsel. Neu ist die weitgehende inhaltliche Entleerung des Topos „Wechsel“. Der Wechsel an sich ist das Argument, oder die Reform an sich.

Da wird die Konkurrenz wieder analog zu fiktionalen Konzepten.

Wenn man das Ganze als die deutsche Politik-Daily-Soap nähme, dann wäre ein Wahlsieg von Schröder allein dadurch wahrscheinlich, weil jede Daily Soap von der Veränderung, von dem Wechsel lebt. Es gibt keine Soap in der über Jahre so stabile Beziehungen einfach bestehen, wie in der deutschen Politik.

Wenn Kohl bliebe, müßte die Politik-Soap mangels Quote abgesetzt werden?

Oder der Wähler greift zur Fernbedienung und wählt ein anderes Programm. Gerade der Wechsel wäre hingegen ein absoluter Serienhöhepunkt. Nach dem Serienhöhepunkt folgt dann eine Aufbauphase für neue Geschichten. Welche das sind, bliebe dann abzuwarten.Interview: Lutz Meier

Gerd Hallenberger arbeitet am Forschungsverbund Bildschirmmedien der Uni Siegen und ist Experte für TV-Serien und Gameshows.

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