: "Die PDS weiß nicht, wohin sie will"
■ Andre Brie versteht den Streit um seine Interview-Äußerungen nicht. Der Vordenker der PDS fordert seine Partei erneut auf, die Auseinandersetzung um ihr Demokratieverständnis und ihre Regierungsfähigke
taz: Seit einer Woche geht ein heftiges Gewitter über Ihnen nieder. Verstehen Sie, warum?
André Brie: Nein. Daß mein Interview im Stern Diskussionen auslösen würde, war mir schon klar, das sollte es ja auch. Aber von wem ich jetzt alles attackiert werde und in welcher Form, das hätte ich mir nicht träumen lassen.
Woher kommt die Schärfe der Reaktionen?
Ich weiß es nicht. Ich habe eigentlich nichts gesagt, was ich nicht schon früher dutzendmal gesagt habe, wenn auch weniger drastisch. Der im Herbst erscheinende Kommentar zum Parteiprogramm, an dem ich mit anderen arbeite und an deren Diskussion sich aus Bisky als Parteivorsitzender beteiligt hat, wird um vieles brisanter als das, was im Stern stand.
Ihre Forderung, die PDS müsse endlich in der Bundesrepublik ankommen sowie ein positives Verhältnis zur parlamentarischen Demokratie und zum Grundgesetz finden, empfinden viele in der Partei als Frechheit. Ein Vorstandsmitglied meinte: „Wir sollten erklären, daß uns das anwidert.“
Wahrscheinlich denken viele, hier hat einer das eigene Nest beschmutzt, und jetzt kommt die alte SED-Mentalität wieder durch, die Reihen unbedingt geschlossen halten zu wollen. Dahinter steckt unsere Harmoniesucht.
Und woher kommt die Schärfe Ihres Angriffs?
Seit der Annahme unseres Parteiprogramms 1993 haben wir entscheidende Diskussionen einfach nicht weitergeführt. Wie gehen damit um, daß uns eine Mehrheit im Osten in der Regierung sehen will? Was haben wir für ein Sozialismusverständnis? Wie setzen wir uns mit der Nostalgie in unserer Partei auseinander, wie mit dem Stalinismus? Wir versuchen, uns mit Formelkompromissen über die Runden zu retten.
In diesem Jahr hat sich das für mich immer mehr verdichtet. Da geht die Debatte um 50 Jahre SED los und bricht genau am Jahrestag abrupt ab – als wäre nichts gewesen. Der Brief aus der PDS Sachsen, den ich nicht gut finde, aber der reale Widersprüche der Partei benennt, schlägt zwei Wochen hohe Wellen – und plötzlich ist Schluß. Dann die Diskussion um die PDS-Mittelstandspolitik, der Streit um den MfS-Offizier in Sachsen-Anhalt, der sagt, er bereue nichts – in der Partei regt sich so gut wie nichts. Ich halte diesen Stillstand für gefährlich. Ich habe provoziert, damit wir endlich die Auseinandersetzung offen führen.
Die PDS ist dazu aber im Moment nicht so richtig bereit.
Wir leben in Ostdeutschland in einem Umfeld, in dem die DDR, auch außerhalb unserer Wählerschaft, verklärt wird. Wie oft habe ich in der PDS in der letzten Zeit gehört, die BRD sei noch undemokratischer als die DDR. Diese DDR-Nostalgie ist für uns sehr gefährlich: Sie kommt uns zugute, aber wir dürfen ihr nicht nachgeben. Wir müssen die Kritik an der DDR fortsetzen, sonst kommen wir in dieser Gesellschaft nicht an.
Warum wollen Sie denn, daß die PDS in der Bundesrepublik ankommt?
Wir dürfen nicht immer wieder nur auf den Osten zurückfallen. Die PDS soll die sozialistische Partei dieses Landes werden, links von der SPD. Dafür ist es notwendig, Ostdeutschland in die Bundesrepublik einzubringen und auf diesem Wege für eine neue Moderne zu kämpfen, die die Krise der parlamentarischen Demokratie überwindet und sich den globalen Problemen zuwendet.
Die stellvertretende Parteivorsitzende Angela Marquardt meint, die PDS sei weiter, als daß sie heute noch ein positives Verhältnis zur Demokratie betonen müßte.
Eine demokratische Gesinnung und eine demokratische Kultur hat man nicht so einfach, die muß man sich erwerben. Das ist ein langer Weg, an deren Ende die PDS noch lange nicht ist. Dabei geht es um mehr als um Verfassungstreue. Deswegen sage ich, wir müssen ein positives Verhältnis zum Grundgesetz und zur parlamentarischen Demokratie entwickeln. Der Begriff des Positiven stammt übrigens von Hegel; er schließt Veränderungen ausdrücklich ein.
Warum tun sich viele in der PDS so schwer damit?
Weil wir die undemokratische Praxis der SED noch nicht überwunden haben, das steckt noch in jedem von uns drin. Der Westen hat uns die emanzipatorische Erfahrung voraus. Um diese Erfahrung beneide ich viele.
In welchen Momenten?
Fast immer. Das betrifft die Streitkultur, die Fähigkeit, Streit auszuhalten, den Mut, mit eigenständigen Positionen in die politische Öffentlichkeit zu treten, die Fähigkeit, sich immer wieder auf gesellschaftliche Bewegungen zu orientieren, wie jüngst in Gorleben. Wir dagegen müssen hart organisieren, damit so etwas in Gang kommt. Aufmüpfige Citoyens zu werden ist für uns echte Arbeit.
Dieser kulturelle Konservatismus prägt nach wie die PDS. Wenn ich nur ein Wort hätte, um das Defizit der DDR zu charakterisieren, dann würde ich sagen: Sie war antiemanzipatorisch.
Sie haben mit Ihrem Vorstoß bewußt provoziert. Die, die Sie kennen, behaupten, Sie seien eigentlich gar kein Provokateur.
Bin ich auch nicht. Ich bin harmoniesüchtig. Es fällt mir schwer, nur aus Berechnung etwas zu sagen, das andere treffen soll.
Sie provozieren, weil Sie emotional an der Partei hängen?
Ja, und weil ich nicht wieder kuschen will. In der SED habe ich viel zu oft geschwiegen. Heute gilt für mich der Anspruch, mit dem die PDS 1989/90 angetreten ist: eine emanzipatorische Partei zu sein, in der der einzelne Souverän ist, nicht die Masse.
Also sind Sie ein „artiger Rebell“, wie die Zeit Sie charakterisiert hat?
Ja, ein sehr artiger.
Steckt die PDS in der Sackgasse: Die Widersprüche, die sie vereint, kann sie nicht ausdiskutieren, sie kann diese Widersprüche aber auch nicht aushalten, weil sie früher oder später mitregieren wird?
Nein, so pessimistisch bin ich nicht. Die Reformlinie, für die Gysi und Bisky mit ihrem Namen stehen, dominiert faktisch in der Partei. Aber die konkreten Inhalte sind jetzt endlich zu benennen, der Preis, den wir zahlen müssen, wenn wir mitregieren, die Widersprüche sind offenzulegen. Wir müssen im Alltag eine reformsozialistische Partei werden.
Muß die PDS eine Art Selbstreinigungsprozeß durchmachen, um koalitionsfähig zu werden?
Wir dürfen keine poststalinistischen Positionen dulden, aber es soll dabei keiner aus der Partei ausgeschlossen werden. Wir müssen ein Klärungsprozeß organisieren, der vor allem ein Lernprozeß sein wird. Wenn wir das nicht tun, dann fliegt uns der ganze Laden um die Ohren – nicht unbedingt 1998, aber danach. Ob die Kommunistische Plattform nach einer solchen Debatte noch mitmacht, weiß ich nicht. Die werden wahrscheinlich alles mitmachen, weil sie wissen, daß sie außerhalb der PDS in die völlige Bedeutungslosigkeit fallen.
Und Sie haben die Hoffnung, daß die PDS auf diesem Wege eine normale Partei wird?
Ja. Sie muß in der Hinsicht eine normale Partei werden, daß sie für die Ablösung der konservativen Regierung der SPD und den Grünen zur Verfügung steht, daß sie als eine demokratische Partei angesehen wird, mit der man koalieren kann.
Man könnte aber auch ein düsteres Fazit ziehen: Die PDS ist eine zerrissene Partei, die nicht wahrhaben will, woher sie kommt, und nicht weiß, wohin sie will, ohne Konsens und ohne Konzept für die Aufgabe, die ihr zuwächst, also mitzuregieren.
Das ist mir zu absolut formuliert. Viele sind sich ihrer Herkunt durchaus bewußt. Die Partei zerrissen? Das wäre gut, weil das hieße, daß uns unsere Widersprüche bewußt sind.
Und die PDS weiß nicht, wohin sie will?
Auch wenn es unangenehm ist: Das stimmt.
Interview: Jens König
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