■ In China ist eine neue Mittelschicht entstanden: "Dem Volke dienen"
„Dem Volke dienen“
Peking (AFP) — Nach jahrzehntelangen Ermahnungen der Kommunistischen Partei, „dem Volk zu dienen“, ist dies jetzt in China endlich Realität geworden. Dienstleistung— früher gleichbedeutend mit Ausbeutung durch das kapitalistische Bürgertum — findet jetzt die Zustimmung der ehemaligen Wärter des Klassenkampfes. Von den Sozialisten noch schnöde verachtet, sind die Dienstleistungen nun Bestandteil in einem Land, wo die Marktreformen langsam greifen. „Die Reformen haben eine neue soziale Schicht hervorgebracht, die ein großes Bedürfnis nach allen möglichen Dienstleistungen hat“, sagt der Manager des neugegründeten Pekinger Geschäfts für „Moderne Familiendienstleistungen“, Yang Yi.
Langsam taucht in China eine Mittelschicht auf, die über Geld und Freizeit verfügt und es sich erlauben kann, im Luxus zu schwelgen. Im ganzen Land schießen die Firmen wie Pilze aus dem Boden, die von Autowaschen, Blumenlieferungen über Babysitten alle möglichen Leistungen anbieten. Wer keine Zeit hat, in einer langen Schlange für eine Bahnkarte anzustehen, engagiert halt eine Firma, die dann den Fahrschein kauft.
Die meisten Chinesen haben keine Probleme damit, zu lernen, wie man bedient oder bedient wird. In einem fort klingeln die Telefone bei Kunden und Dienstleistungsanbietern. Die modisch gekleidete Luo Jun räumt zwar ein, daß sie nicht wenig überrascht war, als ihr ein Blumengeschäft sechs rote Rosen zu einem Stelldichein bei Charleys Eisbar brachte, das ihr Freund kurzfristig abgesagt hatte. „Ich wußte gar nicht, daß es so einen Service gibt“, sagt sie, „aber wenn ich die Blumen nicht bekommen hätte, wäre ich sehr wütend gewesen.“
Nicht jeder Chinese wird jedoch mit dieser neuen Entwicklung fertig. Immerhin hatte die Kommunistische Partei vier Jahrzehnte lang verkündet, daß es antisozialistisch ist, jemanden für Dienstleistungen zu bezahlen, die man genausogut selbst erledigen kann. „Zu arbeiten war eine Ehre. Es war eine Schande, jemanden zu beauftragen, für dich zu arbeiten. Für einige wenige Leute ist das immer noch ein Gesichtsverlust“, sagt der Geschäftsmann Yang.
Vor 13 Jahren, nach dem Sturz der Viererbande und einer vorsichtigen Liberalisierung der Wirtschaft, war der Dienstleistungssektor in China ein Alptraum. Aber die Zeiten haben sich geändert. Die „Modernen Familiendienstleistungen“ werben mit dem Slogan, ihren Kunden „zur Hand zu gehen, so daß sie sich nicht länger um die zahllosen täglichen Pflichten kümmern müssen“.
Nachdem die Regierung in Peking jahrelang das Wachstum des Dienstleistungssektors eingeschränkt hatte, scheint die neue Politik nicht ohne Auswirkungen auf die Gesellschaft zu bleiben. Die Zunahme der Dienstleistungsbetriebe habe eine Verschärfung der Klassengegensätze zur Folge, sagt ein chinesischer Soziologe. „Der neue Akzent auf die Dienstleistung ist Symbol dafür, daß die Regierung die Rückkehr der Klassengesellschaft akzeptiert hat.“ Um die Wirtschaft anzukurbeln, mußte die Kommunistische Partei die Ideologie über den Haufen werfen: Zur Verbesserung der Effizienz sind einschneidende Veränderungen in der Bürokratie geplant. Außerdem soll der Dienstleistungssektor zur Reduzierung der Arbeitslosigkeit ausgebaut werden. Im Mai hatten Politiker bereits angekündigt, daß Dienstleistungsunternehmen, die mit kleinen Investitionen schnelle Gewinne machen, vorrangig behandelt werden sollen. Um das Wachstum zu beschleunigen, sollen diese zwei Jahre lang keine Einkommenssteuer zahlen. Viele der Firmen werden von staatlichen Unternehmen oder im Auftrag der Regierung oder Parteien aufgebaut, um Arbeitslose zu beschäftigen.
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