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Archiv-Artikel

philipp mausshardt über KLATSCH Deutscher Adel besser als sein Ruf

Am Stammtisch mit dem Kaiser und ein Sprachkurs bei Prinzessin Preußens Gloria in Fraßdorf/Niederbayern

Wenn ich mich weit aus dem Fenster lehne und einen ganz langen Hals mache, dann könnte ich um die Neckarbiegung schauen und würde hinter den Obstbaumwiesen von Kusterdingen wahrscheinlich die Turmspitzen der Burg Hohenzollern sehen. Ja, so schön ist Panama, aber da ich an dieser Stelle keinen Neid aufs gesegnete Württemberg schüren, sondern etwas anderes erzählen möchte, schaue ich nicht aus dem Fenster und konzentriere mich.

Immer wenn mich, was dem Herrn sei’s gedankt selten genug vorkommt, Freunde von auswärts besuchen, zeige ich ihnen die Burg Hohenzollern. Dann ärgere ich mich wieder darüber, dass ich mein Auto auf dem Wanderparkplatz unterhalb der Burg abstellen muss und nicht hinauf fahren darf, wie es mir eigentlich gefühlsmäßig zustünde. Nur die Herrschaften und deren Angestellte dürfen die Serpentinen sitzend erklimmen. Das Volk muss zu Fuß hinauf. Oben atemlos angekommen sind die Besucher immer sehr beeindruckt, weil der Hohenzollern aussieht wie die Ritterburg von Playmobil, vielleicht sogar schöner.

Nicola, eine alte Schulfreundin, ist seit vielen Jahren als Fremdenführerin auf der Burg angestellt, und um ein wenig vor meinen auswärtigen Begleitern anzugeben, die meinen Wohnort Kirchentellinsfurt für den Inbegriff deutscher Provinzialität halten, rufe ich dann laut über den Burghof: „Nicola, wo liegen eigentlich unsere Kaiser?“ Jawoll, hier im Niemandsland, auf einem Vorberg der Schwäbischen Alb, liegt ein Preußenskelett neben dem anderen im Sarkophag, nur den Friedrich haben sie uns vor ein paar Jahren gestohlen und vom Hohenzollern nach Potsdam umgebettet, was ich ihnen nicht verziehen werde. Ja, dann zeigt Nicola uns die Gruft.

Morgen ist die Burg allerdings für Besucher gesperrt. Die Familie trifft sich in der kaiserlichen Gruft zur Urnenbeisetzung der vor wenigen Wochen verstorbenen Prinzessin Kira von Preußen. Genauer gesagt: Ihrer Königlichen Hoheit Prinzessin Kira Auguste Viktoria Friederike von Preußen, Tochter der russischen Großfürstin Kirillowna, Urenkelin des letzten deutschen Kaisers Wilhelm II.

Wenn sie tot sind, kommen die Preußen offenbar gern ins Schwabenland zurück. Ansonsten lebte Kira, die kurz vor Schluss im westpreußischen Cadinen geboren worden war, erst in Bad Kissingen und dann in Bremen. Nach ihrer Scheidung von einem gewissen Mister Liepsner from the States zog sich die Prinzessin mit ihrer Tochter in das niederbayerische Hinterland zurück, wobei Niederbayern sowieso nur aus Hinterland besteht. Aber Fraßbach ist besonders hinterländlerisch.

Als Kira jetzt 60-jährig einem Krebsleiden erlag, widmete ihr die Mühldorfer Zeitung einen Nachruf, der es wert ist, zitiert zu werden, weil er zeigt, dass der deutsche Hochadel mehr zu bieten hat als einen „Prinz Lüstern“ und einen Ernst-August, den Ausgeflippten. Kira, die Prinzessin der Bescheidenheit. „Hier lebte sie zurückgezogen in einem kleinen Häuschen, pflegte gute nachbarschaftliche Beziehungen, war ein leuchtendes Beispiel an Bescheidenheit“, schreibt die Mühldorfer Zeitung und erinnert daran, dass ihr Vater, Prinz Louis Ferdinand von Preußen, „des Öfteren am Stammtisch des Gasthauses ‚Zur Post‘ anzutreffen war.“ Ein Bierchen zischen mit dem Kaiser, ja so geht’s zu in Fraßdorf/Niederbayern. Und Kira erwarb sich derweil „ein kleines Zubrot als Sprachlehrerin an der Volkshochschule“ von Neumarkt-Sankt Veit. Gell, da schaut’s!

Unser Adel ist besser als sein Ruf. Leider erfährt man viel zu selten davon. Oder kennt etwa jemand die „Prinzessin Kira von Preußen Stiftung“? 11.000 Berliner müssten jetzt „Ja!“ brüllen, denn so vielen hat die Stiftung bis heute einen Ferienaufenthalt auf der Burg Hohenzollern ermöglicht. Die ersten Kinder wurden noch per Luftbrücke aus Berlin eingeflogen, heute kommen sie im ICE. Und das Allerschönste: Sie müssen nicht vom Parkplatz zur Burg hinauf laufen, sondern werden mit einem Kleinbus den Berg hinauf chauffiert. Dank Kira.

Friede ihrer Asche!

Fragen zum Adel? kolumne@taz.de Dienstag: Jenni Zylka über PEST & CHOLERA