peters‘ paradies : Mit der Berlinale beginnt vor allem der Alltag
Mehr Toleranz wagen!
Kaum hat das Jahr begonnen, geht wieder alles von vorne los. Heute Abend wird die Berlinale im dafür vorgesehenen Berlinale-Palast feierlich eröffnet. Es ist mittlerweile die 53., und ihrem Anspruch nach soll es auch dieses Jahr die wunderbarste und schönste werden. Filmkunst und Unterhaltung werden sich dabei in den einzelnen Sektionen auf wunderbare Weise verschränken, vom so genannten Wettbewerb bis hinunter zur „Perspektive Deutschland“.
Wie es sich für ordentliche Filmfestspiele gehört, hat die Berlinale auch wieder ein schönes Motto, das dieses Mal „Towards Tolerance“ heißt und unbestätigten Gerüchten zufolge nachhaltig von „Access Peace“, dem letztjährigen Love-Parade-Motto, inspiriert wurde. In seinem zweiten Dienstjahr beweist Festivalleiter Dieter Kosslick, dass es sich bei der Berlinale noch immer um ein junges und frisches Festival handelt. Schön ist auch, dass Dieter Kosslick – im Gegensatz zu seinem Vorgänger Moritz de Hadeln – den Schwerpunkt nicht auf das amerikanische Unterhaltungskino legt, sondern nur vier Hollywood-Produktionen in den Wettbewerb geladen hat. Um nicht in den Verdacht einer unschönen Bevorzugung zu kommen, werden zwei davon das Festival als Eröffnungs- („Chicago“) und Abschlussfilm („Gangs Of New York“) rahmen, was keinesfalls damit in Zusammenhang steht, dass die Filme bald auch regulär in den Kinos starten.
„Chicago“ ist die Hollywood-Adaption eines Broadway-Musicals, bei der man Catherine Zeta-Jones, Renee Zellweger, Richard Gere und andere Stars, die man sich bislang weder singend noch tanzend vorstellen mochte, ausgerechnet singend und tanzend erlebt. Die Überraschung ist perfekt, und die Berlinale hat ihren ersten Höhepunkt. Schade, dass der Film nur außer Konkurrenz im Wettbewerb läuft. Danach beginnt der Alltag. Wer wird den Bären bekommen? Wo ist die Filmkunst, die klug und unterhaltsam ist, die neue Wege beschreitet und dabei nicht verschreckt? Am Freitag wird man sich auf Michael Winterbottoms „In This World“ einigen können, am Sonnabend auf „Adaption“ von Spike Jonze, am Sonntag wird man feststellen, dass einem das irgendwie alles nicht gefällt. Wolfgang Beckers „Good Bye, Lenin“ wird die hoch gesteckten Erwartungen nicht erfüllen, auch George Clooneys Regiedebüt wird die Kritiker möglicherweise entäuschen. Nachdem man sich durch die ganzen französischen Filme durchgearbeitet hat, hält einen nur die Hoffnung auf Spike Lee. Den womöglich schönsten Film, das holländische Musical „Ja Zuster, Nee Zuster“ wird man aus irgendeinem Grund verpassen, den Spike-Lee-Film „25th Hour“ hält man trotz des Titels nicht länger als eine halbe Stunde aus. Man zählt die Tage bis zu Martin Scorseses Opus Magnum „Gangs Of New York“. Nach dem knapp dreistündigen Film ist die Berlinale dann auch schon wieder vorbei und man selbst genervt, ermattet und auch ein bisschen zufrieden. Zwischendurch bekam Oskar Roehler für „Der alte Affe Angst“ einen Bären. Davon abgesehen: viel Spaß!
HARALD PETERS