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Archiv-Artikel

peters‘ paradies Rasend provokativ wie auch politisch ungemein tiefschürfend

Es kommt darauf an, was man nicht sieht

Zwei hervorragende Veranstaltungen buhlten am Sonntagvormittag um die verdiente Aufmerksamkeit der versammelten Filmfreude dieser Stadt. Bei der einen handelte es sich um die Präsentation des Filmes „Max“, eines rasend provokativen wie auch politisch ungemein tiefschürfenden Werkes, das schändlicherweise nicht nur nicht in den diesjährigen Wettbewerb gehoben wurde, sondern auch ansonsten nicht den verdienten Weg in andere Programmsektionen fand.

Weil aber der politischen Filmkunst gerade zur Berlinale zu ihrem Recht verholfen werden muss, sprang der wackere Malcolm McLaren ein, das Screening mit Unterstützung der Kunst-Werke zu organisieren. Immerhin geht es bei „Max“ um keinen anderen als den aufstrebenden Redner und Kunstmaler Adolf Hitler, der es später als Politiker ziemlich weit bringen sollte. „Max“ zeigt Hitler am Scheideweg. In ewigen Gesprächen ergehen sich Hitler und sein fiktiver jüdischer Galerist Max (John Cusack) in Gesprächen über den Zusammenhang von Kunst und Politik, bis Hitler schließlich nach einer fiebrigen Eingebung nächtens den Nationalsozialismus als eine folgenreiche Bleistiftzeichnung skizziert.

Interessant. Ähnlich interessant schien die Übergabe des Lebenswerkes von Herbert Reinecker durch den ebenso bekannten wie beliebten Schauspieler Fritz Wepper im Filmmuseum. Herbert Reinecker, der aus gesundheitlichen Gründen nicht anwesend sein konnte, begeisterte mit seinen Geschichten Millionen von Lesern, Kinobesuchern und Fernsehzuschauern. Zu seinen bekanntesten Werken zählen nicht nur Filme wie „Spion für Deutschland“ und „Anastasia, die letzte Zarentochter“, sondern auch unvergessliche Serien wie „Jacob und Adele“, „Der Kommissar“ und „Derrick“.

Nach einem Grußwort durch Fritz Wepper lud das Filmmuseum zu einem Rundgang durch die Ausstellung „Fernsehen macht glücklich“ – eine Präsentation, die für das Filmmuseum nach eigenem Bekunden ein weiterer Schritt in Richtung Film- und Fernsehmuseum bedeutet. Und während Hitler und Reinecker am Sonntagvormittag solcherart um Interesse warben, entschieden sich immer mehr Filmkenner, nicht nur auf Hitler und Reinecker zu verzichten, sondern auch auf alle anderen Angebote des Tages.

Manche hatten sich noch nicht von George Clooneys Hinterteil („Solaris“) erholt, andere noch nicht von Romuald Karmakas brandaktueller Techno-Interpretation „196 bpm“. Generell stand dahinter allerdings die Einsicht, dass im Überangebot der Filme gerade der Verzicht die gewünschte Erleichterung und Erbauung bringt.

Ganz im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung kommt es nämlich nicht darauf an, was man sieht, sondern darauf, was man nicht sieht. Wobei es allerdings nicht um das einfache Nichtsehen geht, das einem lediglich passiert, sondern das bewusste Nichtsehen, für das man sich entscheidet. Und so bietet es sich an, sich gründlich auf die Berlinale vorzubereiten, indem man sich die Filme heraussucht, die es unter Umständen zu sehen lohnt. Anschließend erstellt man einen Plan, um dann nach und nach all die Termine wieder zu streichen, die man sich zunächst einmal gab.

Auch Premierenpartys, Empfänge, Diskussionen und Treffen lässt man auf diese Art passieren, sodass man die Berlinale aufgeräumt und mit klarem Kopf überlebt. „Party Monster“? – Nicht gesehen! – „Adaption“? – Wollt ich erst hin, bin dann aber doch zu Hause geblieben. – „Confessions Of A Dangerous Mind“? – Nein, aber das wird mir auch zu viel! HARALD PETERS