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Archiv-Artikel

ohrenterror im kino von JOACHIM FRISCH

Du sitzt im Kino. Wie aus dem Nichts taucht es hinten rechts aus dem Dunkel auf, braust binnen Nanosekunden zu einem gespenstischen Tosen auf, lässt Fußboden, Milz, Mark und Bein vibrieren, und noch ehe du den Kopf zum Herd des Schreckens drehen kannst, ist es vor deiner Nase und am linken Ohr vorbeigezischt und hinten links im dunklen Nichts verschwunden. Zurück bleiben ein mulmiges Gefühl in der Magengrube, ein leises Zittern der Hände und ein stotternder Herzrhythmus.

Wwwwuschsch. Eine Rakete hat die Leinwand passiert. Oder eine Revolverkugel in Mega-Zoom-Slowmotion-Großaufnahme. Oder eine Atombombe. Oder ein Auto. Ein Fahrrad. Ein Eichhörnchen mit niedlichen Kulleraugen, beobachtet von einem staunenden Hamster. Dolby Surround heißt die Technik, die das Wwwwuschsch möglich macht. Und seit es möglich ist, fehlt es in keinem Film, ob es passt oder auch nicht.

Die Tonmeister können nicht von ihrem Spielzeug lassen, dachte ich nach meinem 40. immer gleichen Wwwwuschsch im zehnten Film. Nach dem 200. Wwwwuschsch im 40. Film war mir klar, dass die Hollywoodproduzenten sich in den Händen der Ton-Mafia befinden, die das ewige Wwwwuschsch zu horrenden Preisen vertreibt und dabei das Geheimnis seiner Erzeugung hütet wie Coca-Cola sein Brauserezept. Es kann schließlich kein Zufall sein, dass alle Filme ohne Wwwwuschsch auf mysteriöse Weise nach wenigen Vorstellungen aus den Kinos verschwinden.

Ein Dilemma für Cineasten, denn das Kino produziert durch das Wwwwuschsch ebenso sicher Herzrhythmusstörungen und Schalltraumata wie das Rauchen Qualm, nur dass kein Gesundheitsminister davor warnt. Man müsste dem Wwwwuschsch seine Exklusivität nehmen, endlich das Geheimnis der elektronischen Genese lüften, um der Ton-Mafia das Monopol zu entreißen, dachte ich nach dem 1.000. Wwwwuschsch.

Bis ich selbst das Geheimnis entdeckte, beim Staubsaugen im Badezimmer. Um die besonders hartnäckigen und ekligen Ecken zu erreichen, entfernte ich den breiten Aufsatz und legte das Saugrohr frei. Dann schaltete ich den Superturbo 2000 ein, kniete mich auf den kalten Fliesenboden und schob das röhrende Rohr in den dunkelsten Winkel, der keinem menschlichen Blick zugänglich ist. Und dann das: Wwwwuschsch. Mit voller Kraft voraus hatte mein Sauger einen noch in Kunststofffolie verpackten Tampon eingeschlorkt und binnen Nanosekunden durch das Metallrohr und die Krümmung des Schlauches in den Korpus katapultiert. Wwwwuschsch. Genau wie im Kino.

Geholfen hat die Entdeckung nichts. Die Ton-Mafia aus Hollywood hat auf meine Drohung, ihr Sound-Geheimnis zu verbreiten, nicht reagiert. Dafür ist jetzt fast jeder Kinobesuch mit Gedenken an vergammelte Hygieneartikel und den längst überfälligen Hausputz verbunden. Zum Glück gibt es noch ein oder zwei altmodische Kinos ohne Dolby-Surround. Zwar knistern die Lautsprecher wie ein Lagerfeuer in den Ohren eines Borkenkäfers kurz vor dem Flammentod, und die finnischen Untertitel zum Originalton helfen da wenig, doch Herz, Milz und Magen bleiben verschont. Und kein Gedanke ans Putzen. Es ist eine Wonne.