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Archiv-Artikel

nebensachen aus kairo Pestizidverseuchte Melonen oder: Auf der Reise ins ägyptische Jenseits

Sie stammt aus dem alten Ägypten: Citrullus lanatus, die Wassermelone. Schon vor 5.000 Jahren fanden sich die saftigen Riesen auf den Reliefs der Pharaonengräber wieder. Beliebt war die Frucht auch als Grabbeigabe, als Stärkung für die Allerliebsten auf ihrem Weg ins Jenseits.

Fünf Millennien später scheint die ägyptische Wassermelone diese fatale Rolle erneut spielen zu wollen. Mehr als 300 Ägypter erkrankten, nachdem sie versuchten, die Plage der Sommerhitze mit dem roten, wässrigen Fruchtfleisch zu lindern. Ganze Familien wurden ins Krankenhaus eingeliefert. „Ich habe diese Melone von einem Straßenhändler erstanden. Nachdem wir sie gegessen hatten, wurde uns übel und schwindlig“, erinnert sich ein Opfer bei der Einweisung ins Giftzentrum der Kairoer Uniklinik. Der Grund für diese mysteriöse Vergiftungsepidemie war bald gefunden. Die Melonen waren mit dem Pestizid Temik besprüht worden – einer weltweit verbotenen Substanz, deren Abbau länger dauert als die Reifeperiode der Melonen und die sofort zu akuter Lebensmittelvergiftung führt. Das Mittel soll auch als Rattengift einsetzbar sein.

Zwar gehört die Substanz zu jenen, die per Gesetz 1999 auch in Ägypten verboten wurden. Aber die Korruption im Landwirtschaftsministerium und die Unwissenheit der Fellachen erwies sich am Ende offenbar als stärker als die Paragrafen.

Nun gibt es in Ägypten keine wachsamen Verbraucherverbände, aber die Nachricht von den vergifteten Melonen verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Erboste Konsumenten wollten Köpfe im Agrarministerium rollen sehen, andere verbreiteten das Gerücht, es handle sich um importierte israelische Melonen, die präpariert wurden, um die 70 Millionen Ägypter auszurotten.

Das ägyptische Vertrauen in die Wassermelone ist jedenfalls gründlich erschüttert. Der Verkauf sank um über 70 Prozent. Wären sie nicht so schwer, die Früchte würden einem von den Händlern buchstäblich hinterhergeworfen. Das veranlasste den neuen Landwirtschaftsminister zum Handeln. Live verzehrte er im Fernsehen vor Millionenpublikum eine Melone, um bei Allah zu schwören, dass sämtliche der jährlich in Ägypten kultivierten 50 Millionen Wassermelonen ungefährlich und gesundheitsfördernd seien.

Ich erinnere mich noch gut an den ägyptischen Melonenskandal in den 90ern. Damals hatten gierige Händler Wasser in die Früchte gespritzt, um das Verkaufsgewicht zu erhöhen. Einfallsreich wie sie waren, benutzten sie dazu die vor Bakterien strotzenden Einwegspritzen, die sie im Müll des Krankenhauses um die Ecke gefunden hatten.

Wie die meisten Ägypter hatte ich damals mit meiner Familie zunächst von jeglichem Melonenkauf abgesehen. Aber ein Sommer in Kairo ohne Wassermelonen? Drei Wochen hatten wir durchgehalten, dann stand ich doch wieder beim nächsten Straßenhändler. Auch diesmal wird der Melonenbann schon bald in der Wüstenhitze dahinschmelzen. Hoffentlich führt der nächste saftige Bissen dann nicht ins ägyptische Jenseits.

KARIM EL-GAWHARY