nebensachen aus algier : Das Fest der Reinigung vergeht alles andere als gemächlich
Es ist eine Tortur. Ich wusste gar nicht, wie gut frisch gebackenes Brot riechen kann, wenn man nicht davon essen darf. Es ist Ramadan und Algiers Straßen füllen sich mit Wohlgerüchen. Die Auslagen der Geschäfte quellen über mit Produkten.
Der spirituellen Erneuerung soll das einmonatige Fasten von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang dienen. Doch selbst die algerische Tageszeitung La Tribune gesteht, dass der Ramadan eher „ein Synonym für Blaumachen und Aggressivität“ ist. Die Nervosität der zum Nichtessen, Nichttrinken und vor allem Nichtrauchen Gezwungenen fordert ihren Tribut. Die Krankenquote auf der Arbeit schnellt in die Höhe.
Ein Ämtergang – schon zu normalen Zeiten eine Qual – wird endgültig zur Odyssee ohne Ziel. Doch am schlimmsten trifft das Fasten die Autofahrer. Der Verkehr verliert seine sonst so amüsante Kreativität. Miese Laune, gepaart mit dem mediterranen Hang zum Anarchischen, ist ein schlechter Fahrer. Die Zahl der Verkehrstoten steigt merklich an. Vor allem in den Minuten vor dem Fastenbrechen sind die Straßen Algiers lebensgefährlich. Jeder versucht so schnell wie möglich an die heimischen Suppentöpfe zu kommen.
Unter drei Gängen verlässt niemand den Tisch. Zuerst gibt es eine Chorba, ein Suppe mit reichlich Fleisch- und Gemüseeinlage. Dann verlangt das traditionelle Menü nach kleinen Fleischklößchen mit Kichererbsen. Das erste Dessert besteht aus Fleisch in süßer Brühe mit getrockneten Pflaumen und Aprikosen. Zum Tee wird allerlei süßes Naschwerk gereicht. Natürlich hat die allabendliche Völlerei ihren Preis. Umgerechnet 12 Euro kostet laut algerischer Presse ein traditionelles Ramadan-Menü für eine fünfköpfige Familie. Bei einem gesetzlichen Mindestlohn von rund 100 Euro im Monat wird es bei vielen Familien eng. Die Händler treiben die Preise in die Höhe. Fleisch und Fisch kosten plötzlich doppelt so viel wie im restlichen Jahr. Der Preis für Tomaten kann sich leicht vervierfachen.
Allerorts wird gegen die Spekulanten gewettert, die sich im Fastenmonat statt wie vom Koran gefordert an die Solidarität an den eigenen Geldbeutel erinnern. Bester Beweis: das Speiseöl. Während die Hersteller beteuern, die Produktion erheblich gesteigert zu haben, ist das Öl in den Geschäften kaum zu finden, und wenn, dann zu horrenden Preisen. Es werde von den Großhändlern künstlich verknappt, berichtet die Presse.
Jeden Tag berichten die Zeitungen über neue Skandale von der Einkaufsfront. Und was am schlimmsten wiegt: Die Beamten in der eh schwach besetzten Aufsichtsbehörde konnten sich keinen besseren Zeitpunkt für einen Streik für mehr Lohn aussuchen als den Ramadan.
Und dennoch herrscht Zufriedenheit bei den Algeriern. Denn die Nachrichten von der Einkaufsfront zeugen von maghrebinischer Normalität. Die Zeiten, in denen die Schlagzeilen während der Fastenzeit anstelle der Preisexplosion von Bombenanschlägen und Massakern handelten, sind im krisengeschüttelten Algerien noch allen in Erinnerung. REINER WANDLER