nachruf : Der Vater der Naturschutzeule
Der Nestor des ostdeutschen Naturschutzes ist tot: Kurt Kretschmann verstarb am Wochenende 92-jährig im brandenburgischen Bad Freienwalde. Kretschmann hatte 1950 die Naturschutzeule geschaffen, jenes Symbol, das bis heute geschützte Gebiete ausweist.
Kretschmann machte eine erstaunliche Karriere für ein Berliner Kind, das von der Natur Anfang des vorigen Jahrhunderts herzlich wenig gesehen hatte. Arbeiterkiez, Volksschule, Schneiderlehre, Zuschneider in einer Berliner Firma. Erst sein Pazifismus brachte ihn in die Natur: Als die Firma 1933 ihre Produktion auf Uniformen umstellte, kündigte der überzeugte Kriegsgegner – um Aussteiger zu werden: Mit einem Freund zog er aufs Land. In die Gartenlaube segelte sein Einberufungsbefehl. 1935 gelang es ihm noch, durch intensives Fasten sich zu entziehen. 1936 half das aber nicht mehr. Der Pazifist wurde Soldat. Aber nicht lange: Nach fünf Monaten wurde er entlassen. Begründung: Er sei „gefährlich für den Geist der Truppe“.
Kretschmann wanderte, durch Deutschland, in die Schweiz, nach Oberitalien – 12.000 Kilometer sollen es gewesen sein. Groß jedenfalls wurde das Misstrauen der Nazis: 1941 zur Zwangsarbeit eingezogen, wurde er ein Jahr später nach Gestapo-Verhören an die Russlandfront geschickt. Dort versuchte er 1944 zu den Russen überzulaufen. Was misslang: Er wurde zum Tode verurteilt. Bevor das Urteil vollstreckt werden konnte, wurde die Hauptkampflinie von der Roten Armee überrannt und Kretschmann schwer verwundet. Beim Genesungsurlaub in Bad Freienwalde desertierte er.
Um sich ab sofort dem Naturschutz zu widmen: 1951 wurde Kretschmann Landesbeauftragter für Naturschutz im Land Brandenburg. Von 1952 bis 1954 war er Referent für Naturschutz an der Akademie der Landwirtschaftswissenschaften in Berlin. Mit dem „Haus der Naturpflege“ baute er in Freienwalde eine der ersten deutschen Naturschutz-Bildungsstätten auf. In dieser Zeit errichtete er auch den „Arbeitskreis für die vom Aussterben bedrohten Tiere in der DDR“. Umweltminister Sigmar Gabriel: „So konsequent Kurt Kretschmann seine politischen Überzeugungen während des Zweiten Weltkrieges gelebt hat, so überzeugt hat er sich für den Naturschutz engagiert.“ Schwarze Waldohreule auf gelbem Grund – 1950 entwarf Kretschmann das Naturschutzschild der DDR. Völlig überraschend überlebte das Symbol den Tod der DDR: Seit dem Beitritt gilt die Eule bundesweit. Allerdings ist das nur die halbe Wahrheit: Nach Angaben des Bundesamtes für Naturschutz gilt der westdeutsche Seeadler – schwarz auf weißem Grund – in manchen Westländern weiter. NICK REIMER