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Archiv-Artikel

mutter erde und vater sonne von RALF SOTSCHECK

Wenn Wissenschaftler sich langweilen, stellen sie geschwind ein paar neue Theorien auf. Was eignet sich dazu besser, als Stonehenge in der englischen Grafschaft Wiltshire, jenes Neolithbauwerk, das jedes Jahr zur Sommersonnenwende Treffpunkt für New Age Travellers ist und beliebtes Motiv für Plattencover war, als es noch Schallplatten gab.

Ein Wissenschaftler der British University of Columbia, der den Steinhaufen jahrelang beobachtet hat, kam dem mysteriösen Bauwerk nun auf die Spur: Es handelt sich um ein Fruchtbarkeitssymbol – eine Megamöse. Das habe man bisher übersehen, sagt Anthony Perks. Er ist Gynäkologe und kennt sich mit der weiblichen Anatomie aus. Besonders gut sei die Ähnlichkeit von Stonehenge und einer Vagina aus der Luft zu erkennen, meint Perks. Man kann sich gut vorstellen, wie der Bauherr vor 5.000 Jahren in einem Hubschrauber über der Baustelle kreiste und die Arbeiter anwies, bei den Schamlippen nicht mit Steinen zu sparen.

Perks, der seine Erkenntnisse im Journal of the Royal Society of Medicine veröffentlicht hat, fertigte eine Karte von Stonehenge an, die er Stein für Stein mit dem Diagramm einer Vagina abglich. Bei dem inneren Kreis, der aus zahlreichen, aufrecht stehenden Steinpaaren besteht, die durch oben aufliegende Steinplatten verbunden sind, wird die Sache endgültig klar: Die geschliffenen und rauen Steine symbolisieren die Vereinigung von Mann und Frau, Vater und Mutter, glaubt Perks. Im Zentrum von Stonehenge stehen natürlich keine Steine, denn das sei ja der Geburtskanal. Wie werden Gynäkologen in 5.000 Jahren die gigantische Erdgasleitung interpretieren, die gerade quer durch Irland verlegt wird?

„Im neolithischen Zeitalter gab es das Konzept der Mutter Erde“, erzählte er dem Observer, der seinen Artikel mit der Überschrift „Die Vagina-Monolithen“ versehen hat. „Stonehenge repräsentiert die Öffnung, durch die Mutter Erde die Pflanzen und Tiere, von denen die Menschen damals so sehr abhingen, auf die Welt gebracht hat.“ Dass Stonehenge mit Kenntnis astronomischer Ereignisse wie den Sonnenwenden gebaut wurde, überrascht Perks nicht: Mutter Erde paart sich mit Vater Sonne.

Eine kleine Ungereimtheit weist Perks’ Theorie allerdings auf: Stonehenge wurde von verschiedenen Stämmen und Kulturen über einen Zeitraum von mehr als 1.500 Jahren errichtet. Hatten die etwa alle eine Vagina vor Augen? Aber eines muss man Perks zugute halten: Seine Gynäkologenfantasien sind nicht viel absurder als die bisherigen Theorien über Stonehenge. In den Sechzigerjahren des vorigen Jahrhunderts, als Computer gerade aufkamen, hielten Forscher das Neolithbauwerk für einen Großrechner. Vermutlich hatten die Baumeister damals gerade keine Kieselsteine für einen Taschenrechner zur Hand. Die New Age Traveller behaupteten in den Achtzigerjahren, Stonehenge sei ein Flughafen für außerirdische Raumschiffe. Und im Mittelalter glaubten die Leute, dass Stonehenge von Riesen erbaut wurde. Letzteres erscheint am plausibelsten.