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leben in funnylandYVES EIGENRAUCH über die junge chinesin leifang

begegnung in der alten oper

vor der ersten stufe, der ersten von sieben, blieb er stehen und betrachtete sie einen augenblick lang. er setzte den linken fuß auf die vor ihm befindliche stufe. das rechte bein folgte der ersten bewegung. dieses rechte als standbein benutzend, erklomm er auf dieselbe weise die weiteren stufen, bis er die ebene des podiums betreten konnte. es war ein kleines areal, auf dem er sich artikulieren sollte. in jedweiliger hinsicht. in der absoluten mitte stand ein gelborangefarben bezogener ledersessel, der ihm nun als sitzgelegenheit dienen sollte. das war ihm gesagt worden. er ließ sich darin nieder. ein längeres stehen war nicht mehr seine sache. viele augenpaare waren in dem saal anwesend, die nun alle gebannt auf die kommenden worte warteten.

unentspannt schaute er, von den scheinwerfern geblendet, in den abgedunkelten saal. die menschen konnte er nur erahnen. mahnend richtete er seinen oberkörper auf, als wolle er vorab dafür sorgen, dass ihm die absolute aufmerksamkeit geschenkt werde. mit ausgestrecktem zeigefinger der linken hand erhob er dieselbe und begann seine sätze zu verfassen: „there’s more to love than boy meets girl. meine lieben. schön! als angenehm empfinde ich es, euch nicht erblicken zu können, obwohl ich weiß, dass ihr zugegen seid. hört mir zu, bitte!? als alternder mensch war es mir gestern eine freude, ein junges chinesisches mädchen kennen lernen zu dürfen. ihr name ist leifang. ich begegnete ihr in der alten oper. die vorstellung war mitnichten das, was man gut besucht nennen kann. vielleicht sechzehn leute waren gekommen, um sich das schauspiel anzusehen; eine davon war leifang. anmutig bewegte sie sich durch den raum. sie, die zu der aufführung gehören sollte. sie machte nicht den eindruck erst neunzehn jahre alt zu sein. ihr körper war in ein langes, enges rotes kleid gehüllt, das auf höhe der oberschenkel auf beiden seiten eingeschnitten war, so dass ihre wunderbaren beine zu sehen waren. niemals zu übersehen. ihr schulterlanges haar hatte sie seitlich zu zöpfen zusammengebunden, wohl einfach aus dem grunde, dass es sie bei dem kommenden nicht in ihrer sicht behindere. schließlich hatte sie gleich im kampf frau gegen frau und frau gegen mann zu bestehen. bei einer größe von 163 cm und einem gewicht von 50 kg ein kaum vorstellbares unterfangen. ihre maße: 87/55/86. und dennoch. sechs aufeinander folgende kämpfe konnte sie für sich entscheiden, ehe sie von einem amerikanischen söldner besiegt wurde. zu diesem zeitpunkt hatte sie meine zuneigung schon längst gewonnen.

trotz meiner erst vor kurzem gemachten bekanntschaft bin ich mir im klaren darüber, dass ich mich nicht so leicht von ihr werde lösen können. dead or alive 2. it’s a game. das freizeitverhalten des spielers: es erfreut uns, uns in eine fiktive interaktive welt zu begeben. ohne eigene fantasie wird präsentiert, ob nun formel eins, tennis oder die bundesliga. was soll ich sagen? jetzt können sie wenigstens mal tore erzielen, wenn sie sich als stürmer einwechseln. telespiele sind durchaus populär. telespiele waren einmal. heute werden sie spielekonsolen genannt. um das wissen zu erlangen, haben wir uns ja auch eine gekauft. wir gehen gerne mit der zeit. nicht immer, aber manchmal.

manchmal bleibt die zeit nicht stehen. dann ist ein tag vorüber, der aus essen, zwei mal arbeiten und fünf stunden ps2-spielen bestand. nicht bei allen erweckt nur das neue eine besondere begeisterung.“ kaum hatte er das letzte wort auskuliert, erloschen die lichter der scheinwerfer. in seinen augen aber brannten sie weiter und er erkannte, dass da niemand war.

Autorenhinweis:yves eigenrauch, 29, ist angestellter von schalke 04 und freut sich an fiktiven welten

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