kuckensema : „Urlaub vom Leben“ zeigt Bremen auf der Leinwand
Der Film könnte auch viel schlechter sein, und trotzdem wäre er für Bremer Cineasten unbedingt sehenswert, denn wann können sie schon mal ihre Stadt auf der Leinwand sehen? Die bisher einzigen wirklich überzeugenden Kinobilder von Bremen wurden in den späten 60er Jahren für Peter Zadeks „Ich bin ein Elefant, Madame“ gedreht, und danach gab es höchstens noch die eher beliebigen Stadtansichten in „Verrückt nach Paris“. Doch nun hat die junge, in Bremen geborene Regisseurin Neele Leana Vollmar sich mit einem guten Auge für Details und Atmosphäre auf Motivsuche in der Stadt gemacht, und dabei solche schönen Drehorte gefunden wie die Sparkasse in der Hamburger Straße oder das Hotel „Weltevreden“ am Dobben. Dieses durfte sie allerdings nur von außen drehen, weil der Besitzer erstaunlicherweise schon mal Ärger mit Filmleuten hatte: In den 70ern gastierte Rainer Werner Fassbinder bei ihm und demolierte die Inneneinrichtung. Dabei bestand diese Gefahr diesmal kaum, denn Gustav Peter Wöhler sieht so nett und harmlos aus, dass man ihm kaum zutrauen würde, im Hotelzimmer die Minibar zu plündern.
Er spielt in „Urlaub vom Leben“ den Bankkassierer Rolf Köster, der sich so in seinem Angestelltendasein eingekapselt hat, dass er seine Frau und beiden Kinder kaum noch wahrnimmt. Sein Leben besteht nur noch aus Gewohnheiten und Ritualen, und er hat jedes Gespür dafür verloren, wie trist und einsam es ist. Doch dann bringt ihn eine schusslige Taxifahrerin aus dem Tritt und entpuppt sich dadurch als seine guten Fee. Denn durch sie ist er bald so durcheinander, dass sein Filialleiter ihm eine Woche Urlaub verordnet. Er erzählt zuhause nichts davon, geht morgens zur gewohnten Zeit aus dem Haus, hat plötzlich Muse und beginnt über sich und seine Situation nachzudenken - mit tragikomischen Konsequenzen. Ähnliche Geschichten werden oft erzählt: sowohl oscarprämiert in „American Beauty“ wie auch in Vorabendserien. Da drohen an allen Seiten die Klischees und dramaturgischen Konventionen, und eine der großen Überraschungen des Film ist es, wie souverän die junge Regisseurin diese Untiefen bei ihrem ersten Langfilm vermeidet. Sie vermeidet das Offensichtliche, erzählt eher indirekt und vertraut darauf, dass das Publikum aufmerksam genug ist, kleine Gesten und Andeutungen zu verstehen. Diese sind dann aber so genau beobachtet und geschickt gesetzt, dass sie viel wirkungsvoller sind als die sonst üblichen hochdramatischen Szenen. Wöhler scheint für die Rolle des erwachenden Biedermanns geboren zu sein, und auch Meret Becker merkt man den Spaß an, mit dem sie die verträumte Taxifahrerin spielt, die „mit den Straßen der Stadt auf dem Kriegsfuss steht.“
Für ein Debütfilm ist „Urlaub vom Leben“ erstaunlich gelassen und unaufgeregt inszeniert, und er hat einen ganz eigenen, liebevoll lakonischen Witz, der immer wieder ganz überraschend aufblitzt. Man weiß nie, wo eine Filmszene hinführt, und gerade wenn die große, schon tausendmal gesehene Ehekrise droht, ist die Auflösung zugleich so unerwartet, komisch und anrührend, dass die Regisseurin und ihr Drehbuchautor Janko Haschemian alleine für diese Szene einen Abschluss cum laude verdient haben. Denn „Urlaub vom Leben“ ist Neele Leana Vollmars Diplomarbeit an der Filmakademie Baden-Württemberg. Für die renommierte ZDF-Reihe „Das kleine Fernsehspiel“ produziert, begeisterte der Film auf dem Festival in Hof so, dass er einen Verleih fand und nun mit dreißig Kopien bundesweit auf die Leinwände kommt. In Bremen läuft er gleich in drei Kinos, doch auch ohne den Heimvorteil ist er ein großer kleiner Film. Wilfried Hippen