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klinker für kalkutta von CAROLA RÖNNEBURG

Erstaunlich spät hat Jürgen Rüttgers auf seine Parole „Kinder statt Inder“ bzw. „Rinder statt Hindus“ eine Antwort aus Indien erhalten. Dewang Mehta, Vorsitzender des indischen Software-Verbandes Nasscom, erklärte letzte Woche, nicht alle indischen Ingenieure würden ihre Familien mitbringen, wenn sie für ein bis zwei Jahre nach Deutschland kämen. Zudem drohe auch Indien keine Gefahr, wenn die Computerexperten außer Landes gingen: „Dies ist das Zeitalter der Globalisierung, und die Initiative würde beiden Ländern nützen“, sagte Mehta so kühl, wie Rüttgers Club getrunken werden sollte.

Den nordrhein-westfälischen CDU-Vorsitzenden dürfte die Feststellung ärgern, dass jetzt sogar schon Hindus mit dem neuen Modewort „Globalisierung“ jonglieren dürfen. So schlimm ist die Sache aber nicht. Die Globalisierung wurde nämlich in Deutschland erfunden und zunächst im kleinen Maßstab erprobt. Sie begann, als sie noch nicht einmal im Fremdwörterbuch verzeichnet war; zu einer Zeit, als sich auch noch niemand etwas unter dem ähnlich schwammigen Begriff „global village“ etwas vorstellen konnte. Trotzdem beginnt die Geschichte der Globalisierung auf dem Dorf – bzw. in den vielen mittelgroßen deutschen Kleinstädten, die es zu einer verklinkerten Fußgängerzone gebracht haben. Ohne Fußgängerzone klappt es nicht mit der Globalisierung. In Cloppen-, Olden- bzw. Klinkerburg hat man dafür eine Schneise in die Altstadt geschlagen, den breiten Weg mit Klinkern gepflastert und Klinkerbauten errichtet. In diesen Häusern haben hauptsächlich die Firmen Geschäfte eröffnet, die den Klinkeraufschlag auf die Mieten bezahlen können. Klinkerburger kaufen seither ihre Pullover bei C & A, ihre Schuhe bei Deichmann und ihre Geburtstagsgeschenke bei Nanunana. Nur ihren Ficus Benjaminus holen sie sich nicht mehr bei Blume 2000, sondern bei Maxxi Flora. Nur wenige Klinkerburger wollen von ihrer Fußgängerzone fortziehen. Sie übernehmen das Elektrofachgeschäft ihrer Eltern, das sich nicht in der Fußgängerzone befindet, und gehen Pleite. Sie bekommen aber schnell einen Job, wenn der Media-Markt eröffnet.

In dieser gut funktionierenden Welt werden nun für ein, zwei Jahre einige kaufkräftige Inder unterkommen. Während ihrer Arbeitszeit werden sie Deutschland computertechnologisch fit machen, und nach Feierabend werden sie durch die Fußgängerzone schlendern. Dort erstehen sie hübsche Geschenke für die daheim gebliebene Verwandtschaft – Steiff-Teddys für die Kinder zum Beispiel oder Edelstahlbesteck von WMF. Weil sie allein unterwegs sind, werden sie einen Smart fahren. Wenn sie dann wieder nach Hause müssen, wird nicht nur ihnen das alles sehr fehlen, sondern auch der Familie. Jeder will dann einen Smart und eine Jacke von Peek und Klinkerburg. Und dann schlägt die Stunde der deutschen Wirtschaft: Ab sofort wird zurückglobalisiert. Das mittels neuester Computertechnik und aus eigener Kraft entwickelte Fußgängerzonenprogramm für Indien findet jedenfalls reißenden Absatz. Schon wenige Wochen später legt der geläuterte Jürgen Rüttgers den Grundstein für die erste Filiale von Foto-Porst, obwohl ihm, wie er der Presse später launig mitteilt, ein Steak-House lieber gewesen wäre.

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