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jazzkolumneRun for Cover: Diana Krall, Dave Douglas, Marc Ribot

Unter der Auslegware

In Zeiten des Krieges klingt der Jazz schwerfällig und wortkarg. Die Melodie wirkt anbiedernd, und von den vielgepriesenen ad hoc-Improvisationen im Kontext der oral history bleibt der Markt wie gewohnt verschont. Das liegt nicht nur daran, dass die mündliche Überlieferung dann am besten greift, wenn die schriftliche versagt.

Am 11. September war der Jazzkolumnist der New Yorker Wochenzeitung Village Voice, Gary Giddins, in seiner Wohnung zwischen Empire State Building und Wall Street, und schrieb gerade einen Text über eine uralte Harry Belafonte Platte, „The Long Road to Freedom“, als auf CNN die Berichterstattung zum Terror-Anschlag einsetzte.

Später dann, auf dem Weg downtown, zum Büro der Village Voice, wird er von einem Soldaten angehalten und nach Ausweis und Ziel gefragt. Die Betroffenheit auf der Redaktionssitzung, die ausverkaufte New York Times am Zeitungsstand und schließlich der Zeitungsverkäufer, der ihm das Ausstellungsexemplar aus dem Regal holt und kostenlos überlässt – für Giddins genügend ungewöhnliche Vorzeichen, die Besprechung des neuen Diana Krall-Albums „The Look of Love“ noch etwas hinauszuzögern.

Doch zu retten sieht er an dem Produkt, dessen Veröffentlichung nach einer im Jazz beispiellosen PR-Kampagne unglücklicherweise auf die Woche nach dem 11. September fällt, trotzdem nichts. Er befindet, dass Diana Krall eigentlich viel besser sei als alles, was auf diesem Album, ihrer neuen CD, zu hören ist. Im Unterschied zu den Memphis Strings, die Isaac Hayes vor dreißig Jahren zum gleichen Stück begleiteten, schaffen es die betagten Arrangements eines Claus Ogerman heute tatsächlich, Kralls Gesang und Klavierspiel wie eine Auslegware zuzumüllen – und wohl kaum einer würde sich veranlasst sehen, über diese Platte zu reden oder zu schreiben, wäre da nicht der mit Bruce-Weber-Fotos, Brigitte-Shootings und Stern-Konzertticketverlosung geschürte Diana Krall-Hype, gerade auch in Deutschland.

Isaac Hayes und Shirley Horn haben den Burt Bacharach-Klassiker „The Look of Love“ einst zu ihrem Song gemacht, doch das schreckt Diana Krall nicht. Auch Joe Cockers definitive Version von „Cry Me a River“ ging irgendwie an ihr vorbei. Auf ihrem neuen Album singt Krall die alten Balladen und Bossas so unaufgeregt und cool, als wäre die Zeit irgendwie stehen geblieben.

Die Kanadierin mit Wohnsitz in New York hat sich im vergangenen Jahr mit dem in München lebenden Arrangeur Ogerman zusammen getan, um dieses streicherlastige Album mit dem London Symphony Orchestra und einigen Musikern der jungen amerikanischen Jazzszene aufzunehmen. Ogerman arrangierte 1982 bereits mit der Michael Brecker Platte „Cityscape“ den Soundtrack zu Kralls Collegezeit.

Die Pianistin und Sängerin Krall, die sich binnen weniger Jahre von einer Jazzclubmusikerin zum amerikanischen Star mauserte, der in den Late Night Shows von Jack Leno und David Letterman ein- und ausgeht, und mühelos die Carnegie Hall in New York zu füllen vermag, verkaufte unlängst über zwei Millionen CDs, und erhielt bereits in mehreren Ländern Platin-Status. Als große Einflüsse führt Diana Krall Shirley Horn, Keith Jarrett und Elton John auf, mit letzterem ist sie auch gut bekannt.

Krall ist jedoch überzeugt davon, dass gerade ihr Erfolg nicht berechenbar war. Gerne stellt sie klar: Nicht ihre Beine oder ihre blonden Haare haben zu dem Erfolg geführt, sondern die Tatsache, dass sie kompromisslos ihren musikalischen Weg geht. Sie wuchs mit den Songs von Nat King Cole und Frank Sinatra auf, und in dieser Tradition sieht sie auch das angesiedelt, was sie heute selbst macht. Nicht radikal, sondern spröde verpackt der neue Mainstream die alten Lieder. Authentisch noch, doch nichts sagend, selbst wenn von der Liebe die Rede ist.

Dem Trompeter Dave Douglas hingegen, seit Jahren ausgesprochener Liebling des New Yorker Jazzkritikerzirkels, geht es auf seinem neuen Album „Witness“ um die Würdigung des gewaltlosen Widerstands, gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung – um Künstler und Aktivisten, die große Risiken auf sich nehmen, um ihre Stimme für die Freiheit zu erheben. Es ist das bislang engagierteste und ausdrucksstärkste Projekt des 37-jährigen Trompeters, der schon seit Jahren als innovativster Musiker der zeitgenössischen amerikanischen Jazzszene gepriesen wird.

Kernstück auf „Witness“ ist die 24-minütige Kollektivimprovisation „Mahfouz“ – doch dass die Musik hier die Stimme von Tom Waits, der die Texte des ägyptischen Schriftstellers Nagib Mahfouz zitiert, regelrecht zuschüttet, ist zunächst sehr verwirrend. Was Waits da spricht ist eigentlich nicht zu verstehen, seine Sprechstimme ist völlig als Soundeffekt in den Ensembleklang integriert. Sie geht förmlich unter und ist selbst an den sehr leisen Stellen nur mehr als Hintergrundgenuschel präsent.

Selten ist eine derart prominente Stimme so unaufdringlich und unwichtig zur Musik gemischt worden. Die nicht-künstliche Trennung zwischen den Medien Literatur und Musik bleibt erhalten, der Kauf dieser CD kann und soll den Erwerb der Bücher nicht ersetzen.

Es sind ja vor allem Schriftsteller wie Taslima Nasrin, Pramoedya Ananta Toer und Nawal El Saadawi, deren Wirken Douglas mit seinen Kompositionen würdigen will. In den Liner Notes fragt Douglas, wie Protest noch möglich ist, wenn jeder widerständige Gedanke vom herrschenden Regime im Keim erstickt wird. Mit seiner Ensemble-Musik will Douglas eine positive und kollektive Antwort geben.

Und der New Yorker Gitarrist Marc Ribot, der einst den Sound von Tom Waits, Lounge Lizards und Elvis Costello prägte, zeigt auf seinem heute erscheinenden Soloalbum „Saints“, wie die Klassiker aus dem Great American Songbook, der Schatztruhe des amerikanischen Schlagers, heute klingen können: wie der Schlussstrich unter ein leidiges Kapitel der jüngeren Jazzgeschichte und ein Statement gegen den neuen Mainstream.

Nachdem Scharen junger Neotraditionalisten sich mit den Standards abgemüht haben, spielt Ribot „I’m Getting Sentimental Over You“ und „I’m Confessin’“, als hätte er die Schnulzen gerade erst komponiert. Im Unterschied zu Kralls ätzend seichten Cover-Versionen ist diese Solo-CD von Ribot der radikal gelungene Versuch, die Melodie aus jeglichem Kitschkontext zu befreien.

CHRISTIAN BROECKING

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