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Stalingrad ■ Wie ich einmal Schauspieler war
Wir müssen dem deutschen Film auf die Sprünge helfen, dachten wir. Zusammen sind wir stark: der Regisseur Annaud, die Mumien-Frau, Shakespeare in Love, der Privatdetektiv von Roger Rabbit, ein bulgarischer Zauberer, 200 Statisten und ich, die bei den Stalingrad-Dreharbeiten beschäftigt sind. Um fünf Uhr früh versammeln wir uns am Fehrbelliner Platz im Bezirk Wilmersdorf – von dort werden wir mit Bussen nach Krampnitz gefahren, zum Chruschtschow-Stab.
Den Chruschtschow kenne ich – es ist der Komiker aus dem Roger-Rabbit-Film. Er sitzt alleine im Aufenthaltsraum auf dem Hocker und langweilt sich. Ich gehe zu ihm: „How are you, wie geht’s Roger Rabbit?“ Die Regieassistentin jagd mich aus dem Raum – Statisten dürfen die Stars nicht ansprechen.
Heute ist nicht viel los, etwa vierzig Statisten, überwiegend Russen, laufen auf dem Gelände herum. Die Fickszene muss gedreht werden, erzählen sie mir. Schon die dritte innerhalb einer Woche. Das haben bereits alle verstanden: In diesem Kriegsfilm geht es nicht so sehr um die Schlacht, die ganzen Panzer und Flugzeuge dienen nur zur Dekoration einer komplizierten Liebesbeziehung: Die Mumien-Frau Tanja liebt den Scharfschützen Vasili, schläft aber mit dem Shakespeare in Love, und zwar immer dann, wenn es draußen heftig knallt. Roger Rabbit leidet derweil unter Einsamkeit. Er liebt Tanja und schimpft über Stalin, als wäre dieser daran Schuld, dass er allein ist.
Für viele Russen ist Stalingrad zu einer Beschäftigung für die ganze Familie geworden. Die Männer nehmen an den Schlachtszenen teil, die Frauen dienen als Sekretärinnen in Chruschtschows Stab, und die Kinder hängen rum.Bevor die Liebesszene anfängt, wird erst mal anständig der Stab bombardiert. Das ist bei Stalingrad so üblich. Ich muss mich während der Bombardierung hinter einem großen Küchenschrank verstecken und Angst haben. Der Schrank ist ein wertvolles Stück, richtig alt und mit Lorbeertüten vollgepackt, die russisch beschriftet sind. Die Lorbeerblätter machen wenig Sinn, aber die Requisitentante kann die Beschriftung sowieso nicht lesen. Hauptsache, es ist was Russisches. Die Bombardierung findet unter großem technischen Aufwand statt – ein Techniker rüttelt den Küchenschrank, ein anderer schüttet Staub auf mich.
Die Regieassistentin ist unzufrieden. „Sie sind nicht ängstlich genug“, meint sie. „Ziehen Sie dementsprechend eine Grimasse. Nicht so steif!“ Ich werde schließlich ausgetauscht und gehe zu den anderen Statisten, die draußen Karten spielen.
Die Fickszene wird als Schatten durch eine Zeltwand gedreht. Neben dem Zelt spielen wir, die Soldaten, Karten. Der bulgarische Zauberer zeigt uns ein paar Kartentricks und erzählt, wie ihn die BRD-Regierung damals für 35.000 Mark aus dem bulgarischen Knast freikaufte. „Ein guter Deal“, meint der Bulgare. Sein deutsche Kollege erwidert, das sei weggeschmissenes Geld gewesen. Die Russen schweigen dazu höflich. Die Regieassistentin kommt an und fragt, ob jemand bereit sei, seinen Arsch vor der Kamera zu entblößen, dafür gäbe es zusätzlich 250 Mark. Die Russen genieren sich, auch der Bulgare. Nur der Deutsche ist bereit. Sein Hintern wird mit zwei Kameras gefilmt – von hinten und von der Seite. In der Szene geht es um Folgendes: Während die Mumien-Frau im Zelt sich mit Shakespeare in Love dem Rausch der Leidenschaft hingibt, haben die Kartenspieler draußen ihren eigenen Spaß. Der Verlierer muss fünf Kerzen mit einem Furz ausblasen. So sind sie eben – die wilden russischen Sitten. Die 30 Soldaten sollen sich dabei wie verrückt amüsieren, aber alle schämen sich nur. Wlamir Kaminer
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