Das unrühmliche Erbe der Kolonien

Die Mohrenstraße erinnert an koloniale Fantasien und befördert so rassistisches Denken. Deswegen wird jetzt ihre Umbenennung gefordert. Aktivisten werfen der Gesellschaft vor, zu unreflektiert mit Unrecht umzugehen

120 Jahre ist es her, dass Afrika offiziell unter den europäischen Mächten aufgeteilt wurde. Vor genau 120 Jahren begann in der Berliner Wilhelmstraße, im damaligen Reichskanzlerpalais, die so genannte „Berliner Afrikakonferenz“. Dieses Datum nahmen einige Menschenrechtsvereinigungen, darunter die Internationale Liga für Menschenrechte und der Global Afrikan Congress, sowie der Migrationsrat Berlin-Brandenburg zum Anlass, unweit vom damaligen Tagungsort, im Berliner Abgeordnetenhaus, darauf aufmerksam zu machen, dass Unrecht keineswegs verjährt. Die VertreterInnen erklärten daher gestern, dass es inakzeptabel sei, die Mohrenstraße, ein Relikt der „Ein Platz an der Sonne“-Ideologie Kaiser Wilhelms, nicht umzubenennen.

Zwar sind „Neger“ oder „Mohr“ eigentlich im offiziellen deutschen Sprachgebrauch verpönt, möchte man meinen. Doch Aktivisten der Black Community sehen noch zahlreiche Beispiele, in denen diese kolonial geprägten Ausdrücke sich hartnäckig behauptet haben. Zum Beispiel das gar nicht so harmlose Kinderlied „Zehn kleine Negerlein“, in denen in jeder Strophe ein Kind stirbt.

„In der Kolonialzeit wurden die schwarzen, afrikanischen Menschen mit Begriffen wie Mohr oder Neger dehumanisiert. Auf ihn wurden lediglich koloniale Fantasien projiziert. Dies wirkt bis heute in einem antischwarzen Rassimus fort“, sagt Yonas Endrias von der Internationalen Liga für Menschenrechte. Die unterstützt den Antrag auf Umbenennung der Mohrenstraße, den die PDS in der BVV Mitte gestellt hatte und der Ende November dort verhandelt wird. Dabei sei die Mohrenstraße nur ein Symptom. Wichtig sei, dass die Gesellschaft den Handlungsbedarf erkenne – und ihn ernst nimmt.

Das Problem, so die Aktivisten, sei der deutsche Umgang mit Kolonialismus und den in seinem Namen begangenen Gewalttaten. So gibt es im so genannten Afrikanischen Viertel im Wedding die Swakopmunder Straße. Swakopmund ist einer der Orte des ersten Völkermords des 20. Jahrhunderts, dem an den Herero. Dort entstand 1907 das erste deutsche Konzentrationslager. Die Auseinandersetzungen darüber werden in Deutschland nur sehr zögerlich geführt und Problempunkte von offiziellen Stellen oft übersehen.

Gerade im Alltagsleben gebe es große Blindheit. „Wir sehen nicht den nötigen Willen zur Anerkennung“, so Yonas Endrias, der davon überzeugt ist, dass gerade Sprache auch Denkweisen enttarnt, und so auch im alltäglichen Rassismus eine direkte Folge der kolonialen Idee sieht. Moctar Kamara, der für die afrikanische Community im Berlin-Brandenburgischen Migrationsrat sitzt, klagt, dass es für Schwarze auch in Berlin „No-go-Areas“ gäbe.

Als weiteres Problem sieht er, dass „Menschen afrikanischer Herkunft in vielen politischen Institutionen einfach nicht vertreten sind. So gibt es kein Mahnmahl oder Denkmal für die Opfer des Herero-Völkermordes in Berlin.“ Gleichzeitig attestieren beide der Politik eine große Ignoranz gegenüber solchen Fragen. So wurde die U-Bahn-Station an der Mohrenstraße erst 1991 so benannt, so dass ihr Name keinesfalls als historisch gelten kann. TORBEN IBS