hochseebaden mit seehundfrau von WIGLAF DROSTE :
Die Nordsee rund um Helgoland ist ein richtiges Wasser, mit Wellen- und Gedankengang, nicht so eine Pillermiege wie die Ostsee. Nordsee ist Mordsee, heißt es – und was ist Ostsee? Telekompostsee? Wird schon so was sein.
Die Nordsee aber ist freundlich und hat einen blitzeblauen Himmel aufgespannt, und der Wind weht. Wuppig-schluppig schaukelt das offene Boot von der Insel zur Düne, auch beim Anlegen an der Mole liegt es nicht ganz still. Eine sehr bibelkreistauglich aussehende, irgendwie graubrotene mittlere Dame gerät beim Aussteigen aus dem Tritt und ins Schlingern. Der Bootsmann, der sie an Land hievt, fragt trocken: „Na, heut Morgen was getrunken schon?“ Die Dame füllt ihre Mäuseäuglein mit Empörung. Dabei ist das doch ein sehr freundlicher Rat und täte sicher auch dem Bibelkreislauf nur gut.
Türkis ist das Meer vorn, hinten wird es blaugrün, weiß leuchten Schaumkronen. Hinter klug angepflanztem Reisigwind- und -sichtschutz setzt man sich in den warmen Sand, und wenn man sich wälzt, sieht man aus wie ein panierter Butterfisch. Vögel kommen zu Besuch: Austernfischer, schwarz-weiß mit kleinfingerlangem, orangerotem Schnabel, trippeln gewitzt und fordern ziepend, ja zerrend ein Futter. Die viel größere Lachmöwe fragt erst gar nicht, räumt ungeniert den Rucksack aus, rupf!, fliegt die Brieftasche in den Sand, eine Kreditkarte lässt sich eben noch retten. Ob die Möwe auch mal bargeldlos ein Makrelchen kaufen gehen wollte?
Schönes Strandgut gibt es auch: Hühnergötter, Austernschalen – die Austern kehren, wie die Hummer, nach Helgoland zurück –, taschenkrebspanzerfarbene Flintsteine, roten und weißen Sandstein. Die kann man sammeln und ein bisschen am Strand herumhausmeistern. In Modesprech heißt Hausmeistern: Feng Shui.
Oder man sucht sich einen Strandkorb. Strandkorb ist schönster Luxus, einfach und einleuchtend. Draußen pfeift der Wind, drinnen kann man küssen, wispern, schmiegen, lesen und ein Zigärrchen schmauchen und schlafen wie ein satter Hummer – oder alles. O ja, einmal alles mit Schuss, bitte, und einen Strandkorb! Strandkorb ist huschelig, man fühlt sich wie ein Osterei im Nest.
Zum Wasser schlägt man ein paar Räder über den Strand oder läuft einfach ins 20 Grad frische, gischtende Wasser, schwimmt – und stutzt. Was ist das denn da vorne für ein Kopf, groß und schwarz und glänzend? Ein Seehundkopf, nur drei Meter entfernt. Und – sogar noch einen Meter näher dran – ein zweiter, grau und weiß gesprenkelt, kleiner als der erste und schmaler: der Kopf einer Seehundfrau. Unverwandt und direkt kuckt sie, und dann – schlupp! – taucht sie, schlägt mit der Flosse und ist weg. Um nach einer halben Minute ein paar Meter weiter wieder aufzutauchen und abermals neugierige Blicke abzufeuern.
Seehunde sind uneckig rund und lieben Fisch, und bei aller Rundheit werden sie niemals penetrant anthroposophisch. Eine gute Woche schwamm ich mit ihnen, am schönsten war es bei Hochwasser.
Oben auf dem Wellenkamm / tanzte elegant und schwamm / ich schwör, so war es, ganz genau / meine schöne Seehundfrau.