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heute in hamburg„Wir sind unserem Traum sehr nah“

Online-Vortrag und Diskussion zum gewaltfreien Protest in Belarus am 17. 12. um 16 Uhr. Anmeldung unter info@sfd-bremen.de

Interview Alina Fischer

taz: Warum einem so gewaltbereiten Regime immer noch mit friedlichem Protest entgegentreten, Frau Karatch?

Olga Karatch: Gewalt ist kein guter Weg, um Veränderung zu erzielen. Wir wollen Lukaschenko nicht durch einen anderen Staatsführer ersetzen, sondern ihm mit demokratischen Mitteln entgegenstehen. Denn das wollen wir erreichen: einen demokratischen Staat. Es ist leicht, einen Konflikt mit Gewalt zu eröffnen, aber es ist schwer, ihn wieder zu schließen.

Wie bewahrt man sich seinen inneren Frieden?

Es ist nicht leicht …Das Regime ist sehr brutal. Friedliche Protestierende werden ins Gefängnis geworfen. Es gibt Vergewaltigungen. Viele haben körperliche Beeinträchtigungen, nachdem sie von der Polizeiwache wiederkommen.

Sie haben das Netzwerk Nash Dom gegründet. Was sind Ihre Forderungen?

Gegründet wurde es 2005 mit dem gemeinsamen Ziel, demokratische Reformen durch friedlichen Protest zu erreichen. Ich bin glücklich, denn wir sind unserem Traum nun sehr nah. Aber ich bin auch traurig wegen der vielen Qualen, die die Menschen ertragen müssen.

Wie bleiben die Aktivist*innen in Kontakt?

Wir benutzen verschiedene soziale Netzwerke, vor allem aber Telegram und Youtube. Manchmal fällt das Internet für einige Stunden aus, manchmal das ganze Wochenende. Diese zwei Dienste funktionieren komischerweise aber trotzdem. Auf unserem Youtube-Channel finden sich Hilfestellungen zu friedlichen Protestformen.

Wie würde ein Belarus der Zukunft aussehen?

Belarus wäre ein Teil der europäischen Familie. Es gäbe freie Wahlen, eine neue Verfassung und Gewaltenteilung. Momentan liegt ja die gesamte Macht bei Lukaschenko. Der Staatshaushalt wäre transparent einsehbar und es gäbe demokratische Standards.

Was denken Sie, wie lange die Proteste noch andauern werden?

Foto: Dmitrij Leltschuk

Olga Karatch,

41, ist belarussische Journalistin, Aktivistin und Gründerin des Netzwerkes Nash Dom.

Bis Lukaschenko weg ist. Er will nicht gehen – und allen ist klar, warum. Wenn er seine Macht verliert, muss er sich für seine grauenvollen Taten verantworten und ins Gefängnis gehen. Davor hat er Angst. Aber die Gesellschaft merkt immer mehr, dass er toxisch für sie ist. Dass man unter seiner Führung nicht leben kann.

Eine zeitliche Einschätzung?

Zwei bis drei Monate vielleicht. Die belarussische Wirtschaft ist am Ende.

Was gibt Ihnen dieser Tage Hoffnung?

Das Level an Selbstorganisation und Mut der Menschen. Es ist beeindruckend, in welchem Ausmaß diese friedlichen Proteste stattfinden und was das für Auswirkungen hat.

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